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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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eine Friedhofsrestauratorin mit schwieligen Händen und mit der Gabe, Geister zu sehen.
    Er hob die Hand und strich mir mit den Fingerknöcheln über die Wange. »Du hast tatsächlich keine Ahnung, oder?«
    Ich schloss einen Moment lang die Augen und genoss die Wärme seiner Haut auf meinem Gesicht. »Ich habe viele Ahnungen. Vielleicht sogar ein paar, die dich überraschen könnten.«
    »Wie faszinierend«, sagte er, und im Licht der Lampe konnte ich den Anflug eines Lächelns sehen. Er fasste mit der Hand in meine Haare und drehte sich eine lose Strähne um den Finger. »Steckst du dir die Haare immer hoch?«
    Bei der Frage stockte mir fast der Atem. Sie war so unerwartet   – so intim. »Ich habe sie gern aus dem Gesicht, wenn ich arbeite.«
    »Jetzt arbeitest du aber nicht.«
    Mariama hatte langes üppiges Haar gehabt. Ich erinnerte mich, wie ihr die dunklen Locken in meinem Traum über den Rücken hüpften, und erschauerte. War das der Grund, warum Devlin wollte, dass ich mein Haar löste? Um uns beide zu vergleichen?
    Ich musste aufhören, so etwas zu denken und in jedes Wort, das er sagte, alles Mögliche hineinzuinterpretieren. Er war heute Abend aus freien Stücken gekommen. Um mich zu sehen. Nicht den Geist seiner toten Ehefrau.
    »Ich mag es hochgesteckt«, sagte ich, »und es sind meine Haare.«
    »Ja, so ist es. Und in diesem Licht schimmern sie wie pures Gold«, erwiderte er. »Und sie duften auch so gut.«
    »Kannst du das von dort aus riechen?«
    »Ganz genau.«
    Er fasste meine Hand und zog mich sanft zu sich hin. Ich wehrte mich nicht dagegen, sondern schloss die Augen und drehte das Gesicht zu ihm.
    Ich spürte, wie er erbebte. Dann beugte er den Kopf zu mir herunter, und unsere Lippen berührten sich. Eine Woge von Energie strömte durch mich hindurch. Ich taumelte zu ihm, und er zog mich an sich. Ich schlang die Arme um seinen Hals, und er intensivierte den Kuss, weiter und weiter, und es war anders als alles, was ich bisher erlebt hatte. Ich konnte die Energie spüren, die zwischen uns strömte. Sie war wie ein Meer mit Ebbe und Flut, sie ließ mich alles viel tiefer empfinden und schwächte meinen Widerstand.
    Ich wollte, dass dieser Kuss niemals endete, doch ich wusste, dass er enden musste, denn mit jedem Moment schwanden mir die Kräfte. Devlin atmete mich ein.
    Plötzlich wich er zurück. Er sah verstört aus. »Ich weiß nicht, was hier vorgeht.«
    »Was meinst du damit?« Meine Stimme zitterte. Ich war selbst ziemlich verstört.
    Er legte seine Stirn an meine. »Es ist seltsam, aber wenn ich mit dir zusammen bin, kann ich ihre Gegenwart manchmal so deutlich spüren, als würden sie neben mir stehen. Und trotzdem   … wenn ich mit dir zusammen bin, spüre ich, dass sie mir entgleiten. Das ergibt keinen Sinn. Es ist wie das Tauziehen in deinem Kindheitstraum.« Er brauchte es mir nicht zu erklären. Ich wusste, dass er über seine Geister sprach. Doch für ihn waren es Erinnerungen.
    Er zog mich an sich, und ich legte meine Wange an seine Brust, damit ich in den Garten sehen konnte.
    Sie waren doch noch da, seine Geister. Oder vielleicht hatte Devlin sie zurückgerufen. Kaum mehr als schimmernde Schemen, schwebten sie aus dem Schatten ins Licht.
    Shani ging direkt zur Schaukel, ließ sich ganz sanft vor und zurück schwingen, und ich glaubte, ein zartes Lied zu hören, das ihre Geisterlippen sangen.
    Mariama beobachtete mich mit den glühenden Augen eines Phantoms. Selbst durch das Fenster konnte ich die gewaltige Macht dieses Blickes spüren   – kalt, heimtückisch und verführerisch.
    Im Zimmer war es eiskalt geworden, obwohl mir in Devlins Armen immer noch warm war. Winzige Linien durchzogen das beschlagene Fenster. Fasziniert sah ich zu, wie sich immer mehr davon bildeten, und erst, als es fast schon zu spät war, bemerkte ich, dass es gar keine Linien waren, sondern Risse im Glas selbst. Als würde jemand   – oder etwas   – auf der anderen Seite die Hand gegen das Fenster pressen und es nach innen drücken. Es auf uns zu drücken.
    Auch als ich das splitternde Geräusch hörte, reagierte ich nur langsam. Ich wollte zurückweichen, aber Devlin hielt mich fest, als könnte er es nicht ertragen, mich loszulassen. Als könnte er mich nicht loslassen.
    Ich legte meine Hände auf seine Brust und stieß ihn mit solcher Kraft weg von mir, dass er nach hinten taumelte. Irgendwie bekam er meine Hand zu fassen und zog mich mit sich, als das Fenster über uns zerbarst. Ich fiel hin,

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