Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
Vom Netzwerk:
Aussehen wundern, doch er war zu sehr Gentleman, um mich darauf anzusprechen. Ein einziger Blick in den Spiegel nach dem Duschen hatte meine Befürchtung bestätigt. Meine Augen lagen tief in den Höhlen, meine Wangen waren hohl. Ich hatte schon das hagere Gesicht einer Besessenen.
    »Sind Sie sicher, dass Sie dem hier gewachsen sind?«, fragte Ethan, als wir einen kurzen Gang hinuntergingen.
    Ich speiste ihn mit der erstbesten Ausrede ab, die mir einfiel. »Ich bin heute nicht so ganz auf der Höhe. Es ist nichts Ernstes.«
    »Wenn Sie einen schwachen Magen haben, ist das hier wohl nicht der richtige Ort für Sie«, warnte er mich.
    »Nein, es geht mir gut.«
    Berühmte letzte Worte.
    Er zog eine Tür auf, und ein Schwall kalte Luft und der beißende Geruch nach Desinfektionsmitteln schlug uns entgegen, der den süßlichen Gestank des Todes übertünchte. Mir drehte sich der Magen um, als er mich in den Umkleideraum der Pathologie führte. Dort gab er mir einen Satz OP -Kleidung und verschwand wieder, während ich mich umzog. Nach ein paar Minuten kam er wieder, um mich abzuholen, und wir gingen in einen Raum, in dem man die Skelettteile auf einen Tisch aus Edelstahl gelegt hatte.
    »Im Moment ist er nur eine Nummer«, sagte Ethan. »Kein Name, kein Gesicht, aber eigentlich wissen wir schon eine ganze Menge über ihn.«
    »Ihn?«
    »Die Form der Beckenknochen sagt uns, dass es sich um einen Mann handelt.«
    Die anderen Opfer waren Frauen gewesen. Das Muster hatte sich also schon wieder verändert. Wenn es überhaupt ein Muster gab. »Weiß Devlin es schon?«
    Ethan nickte.
    »Was hat er gesagt?«
    »Sie wissen ja, wie John ist. Der lässt nicht viel heraus.«
    Ich fand es seltsam, dass Devlin sogar an diesem Ort in Gedanken bei uns war.
    Ethan ging um den Tisch herum, während ich an einer Stellestehen blieb, damit mein Magen nicht noch mehr revoltierte, obwohl es in dem Raum nicht so stank und obwohl die Knochen so aussahen, als hätte man sie abgebürstet und desinfiziert. Trotzdem, wir hatten es hier mit den sterblichen Überresten eines Menschen zu tun.
    »Am Schädel lässt sich erkennen, dass er Kaukasier war. Ungefähr eins achtzig groß, stämmig gebaut. Er war noch jung   – zwischen achtzehn und fünfundzwanzig. Sein Knochenwachstum war noch nicht abgeschlossen.« Ethan strich mit dem Finger über einen Schlüsselbeinknochen. »Die Vertiefungen deuten auf einen jungen Erwachsenen. Sie können das selbst mal anfassen, wenn Sie möchten.«
    »Nein, schon gut. Es reicht mir, wenn Sie das sagen.«
    Er grinste mich an. »Ein paar Zähne sind noch in den Zahnfächern, aber sie sind in einem sehr schlechten Zustand. Auf diesem Weg können wir ihn nicht identifizieren.«
    »Wie lange war er in der Kammer?«
    »Wenn man das fehlende Knochengewebe berücksichtigt und das Nagen   …«
    »Das was?«
    »Ratten«, erwiderte er. »Mit der Zeit können die großen Schaden anrichten. Ich habe Bissspuren an den Rippen gefunden, am Beckenknochen, an den Handwurzel- und Mittelhandknochen   …« Er winkte mit der Hand in Richtung des Skeletts. »Im Schädel ist auch ein Loch, das sehr wahrscheinlich von Nagetieren oder Insekten verursacht wurde, und ein Großteil der Knochen und Knorpel sind verwest. Er muss mindestens zehn Jahre da unten gewesen sein.«
    »So lange?«
    »Vielleicht sogar noch länger.«
    Ich ging die einzelnen Morde im Kopf durch. Afton Delacourt war vor fünfzehn Jahren getötet worden, dieser unbekannte Mann vor mindestens zehn Jahren, Jane Rice vor neunJahren und Hannah Fischer und Camille Ashby erst vor wenigen Wochen. Der zeitliche Ablauf schien keinen Sinn zu ergeben. Es gab auch keinen Zusammenhang zwischen den ermordeten Opfern oder der Tötungsart, obwohl eine derart große Zeitlücke darauf hindeuten konnte, dass er aus irgendeinem Grund bis vor Kurzem außer Gefecht gesetzt war. Es konnte allerdings auch bedeuten, dass man die Leichen nur noch nicht gefunden hatte.
    »Glauben Sie, dass man noch weitere Leichen finden wird?«
    »John scheint davon auszugehen.«
    »Aber wie sollen wir die finden?«, murmelte ich. »Mit einer Kombination aus geomagnetischer und elektrischer Widerstandsmessung? Bodenradar? Es würde ewig dauern, jede einzelne Grabstelle zu untersuchen.«
    »Ich denke, dass es am einfachsten wäre, wenn wir den Mörder schnappen«, meinte Ethan.
    Ich schaute auf das Skelett hinunter. »Er muss eine Familie haben und Freunde. Irgendjemanden, der ihn die ganze Zeit vermisst

Weitere Kostenlose Bücher