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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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diesem Tag passiert war, aber Stunden später war ich innerlich immer noch aufgewühlt.
    Noch nie hatte ich so ein Grauen empfunden wie auf diesem Friedhofspfad, nicht einmal als Kind. Mein Vater hatte mir zwar eine gewisse Furcht vor Totengeistern anerzogen, doch er hatte mich auch gelehrt, wie ich mich vor ihnen schützen konnte. Jetzt war ich mir auf einmal nicht mehr sicher, ob diese Regeln ausreichen würden.
    Was immer das für ein Ding gewesen war, das da aus dem Wald aufgetaucht war   – es war anders als alles, was ich bisher gesehen hatte.
    S ie sind eisiger, stärker und hungriger als jeder Totengeist, den du dir vorstellen kannst.
    Papas warnende Worte ließen mich vor Furcht erschaudern, und ich fragte mich, wie das Ganze wohl zusammenhing   – Devlins Gespenster, das neuerliche Auftauchen des Totengeistes des alten Mannes und jetzt dieses Schattenwesen. Und im Mittelpunkt all dessen ein heimgesuchter Mann, zu dem ich mich immer stärker hingezogen fühlte. Es hätte mir eigentlich nicht schwerfallen dürfen, mich von Devlin fernzuhalten, aber selbst wenn er nicht in meiner Nähe war, spürte ich seinen Sog.
    Nachdem ich ein paar Blocks vom Restaurant entfernt einen Parkplatz gefunden hatte, hastete ich durch die immer noch belebten Straßen und schaute mich dabei alle paar Meter um. An diesem Abend musste ich mich nicht nur vor Gefahren aus dem Jenseits fürchten. Solange der Mörder frei herumlief, galt es, wachsam zu bleiben.
    Der Wind legte sich, und meine Haare knisterten, wie um mich zu warnen, dass der Luftdruck fiel und die Stadt einschloss in eine schwere, erwartungsvolle Stille. In die unheimliche Ruhe vor dem Sturm.
    Als ich ankam, wartete Temple schon in der Bar auf mich, und ich war verblüfft, als ich sah, dass sie Ethan Shaw mitgebracht hatte. Aber eigentlich störte es mich nicht, dass er dabei war. Er hatte ziemlich viel vom Charme und vom Charisma seines Vaters geerbt, sodass er bei Tisch einen interessanten Gesprächspartner abgab. Äußerlich waren die beiden Männer allerdings sehr verschieden. Während Rupert eher aussah wie ein dahinwelkender alternder Filmstar, war Ethan mehr der Typ Junge von nebenan.
    Nachdem sie uns unseren Tisch zugewiesen und wir Platz genommen hatten, kam ich schnell dahinter, dass er und Temple einander von Emerson kannten, wo sie während ihres Bachelor-Studiums Kommilitonen gewesen waren. Ich brannte darauf, mehr über den Mord an Afton Delacourt in Erfahrung zu bringen und über die Gerüchte um die Studentenverbindung, The Order of the Coffin and the Claw , aber da man offenbar angenommen hatte, dass Rupert in den Mord verwickelt gewesen war, hielt ich es für ratsam, mich vorerst zurückzuhalten und zu warten, bis Temple und ich allein waren. Nachdem ich sie auf den neuesten Stand über den Fund in Oak Grove gebracht hatte, nippte ich schweigend an meinem Cabernet Sauvignon und ließ die beiden reden, denn sie hatten einander eine Menge zu erzählen.
    Mein Stuhl stand so, dass ich durch ein Bogenfenster vor unserem Tisch in den Garten sehen konnte. Gleich hinter dem Brunnen schwebte in tiefer Dunkelheit ein Geist.
    Soweit ich sehen konnte, war er ein junger Mann gewesen, als er starb   – Highschool-Alter, schätzte ich, denn er trug eine braune Sportlerjacke mit einem goldenen W auf der Brust und am Ärmel. Er hatte eine kräftige Statur, einen Stiernacken und breite, bullige Gesichtszüge.
    Er stand da mit gespreizten Beinen und hielt die Arme in einer aggressiven Haltung vom Körper weg, wie bei einem Affen. Die Totengeister junger Menschen, vor allem die von Kindern, berührten mich immer, aber bei diesem hier war das anders. Dieser hier hatte etwas an sich, was ich   – abgesehen davon, dass er tot war   – äußerst unangenehm fand. Sogar furchterregend. Gleichgültig, was sie in ihrem Leben getan hatten, war die Aura, die die meisten Geister umgab, ätherisch und verschwommen wie ein Nebelschleier, aber an dieser Erscheinung sah ich nichts Schönes oder Anmutiges. Er war umgeben von Finsternis, verzerrt von Feindseligkeit und Zorn, und es behagte mir nicht, ihn anzusehen.
    Beiläufig griff ich nach meinem Weinglas, drehte mich vom Fenster weg und fragte mich dabei, ob er wohl irgendwo hier im Restaurant einen Wirt hatte.
    Temple hatte die Unterhaltung geschickt so gelenkt, dass sie über ihr Lieblingsthema sprechen konnte   – ihre Arbeit. Sie sah sehr hübsch aus an diesem Abend in ihrer Jeans und dem weißen Tunicashirt. Der mit

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