Totenhauch
Perlen bestickte Halsausschnitt verlieh dem einfachen Oberteil ein bohemehaftes Flair, das ihr gut stand.
»Zwei Jahre, und ich habe immer noch keine passende Nachfolge für Amelia gefunden«, klagte sie Ethan ihr Leid. »Sie war meine kleine Korinthenkackerin. So pedantisch, dass es einem echt auf die Nerven gehen konnte. Einmal mussten wir einen ganzen Friedhof an einen anderen Ort versetzen, und jedes Detail musste hinterher wieder ganz genau so sein, wie es vorher gewesen war, bis hin zur Ausrichtung jeder einzelnen Meeresmuschel. Damals hat mich das wahnsinnig gemacht, aber jetzt wäre ich froh, wenn ich zwei von ihrer Sorte hätte.«
»Du willst mir nur schmeicheln«, warf ich ihr vor.
»Nein, das stimmt. Diese Art von Arbeitsmoral findest du heutzutage einfach nicht mehr.«
»Ich schätze mal, das verdanke ich meiner Erziehung.«
»Das schätze ich auch.« Sie lächelte.
»Dad hat mir erzählt, dass sie Ihnen den Oak-Grove-Auftrag gegeben haben. Ich gratuliere.« Ethan hob sein Weinglas, um mit mir anzustoßen.
»Danke, aber woher wusste Dr. Shaw von dem Auftrag? Mir hat man gesagt, das Projekt müsse bis zur Fertigstellung geheim gehalten werden.«
»Vater gehört dem Ausschuss an, der das Projekt genehmigt hat.«
»Ich verstehe. Nun ja, es freut mich sehr, dass er so viel Vertrauen in mich setzt, aber wenn ich nicht so schnell wie möglich entscheidende Fortschritte bei meiner Arbeit mache, weiß ich nicht, wie lange man meine Dienstleistungen noch in Anspruch nehmen wird.«
»Sie sind nicht schuld an den Verzögerungen«, erwiderte er. »Dafür wird der Ausschuss Verständnis haben.«
»Der Ausschuss vielleicht. Bei Dr. Ashby bin ich mir da nicht so sicher.«
»Camille Ashby?« Temple schnaubte verächtlich.
»Camille war mit uns in Emerson«, klärte Ethan mich auf.
»Sie und ich haben eine Weile in einem Zimmer gewohnt.« Ganz vorsichtig tupfte Temple sich ihre rubinroten Lippen an der Serviette ab. »Wir waren ziemlich gut befreundet, bis sie versucht hat, mich umzubringen.«
»Sie hat … was ?« Fassungslos starrte ich sie an.
»Es ist wahr.« Sie zuckte mit den Achseln, als wäre es etwas ganz Alltägliches, einen Menschen des versuchten Mordes zu beschuldigen. »Eines Nachts wache ich auf und sehe sie vor meinem Bett stehen mit einer Schere in der Hand. Und eine Runde Handarbeit und Werken hatte sie nicht im Sinn, das war offensichtlich.«
»Das ist doch verrückt. Warum hätte sie versuchen sollen, dich umzubringen?« Ich hatte noch nie erlebt, dass Temple übertrieb oder gar wild irgendwelche Dinge erfand, aber diese Beschuldigung erschien mir nun doch ein bisschen weit hergeholt. Es gab niemanden, dem ich weniger zutrauen würde, dass er einen anderen Menschen mit einer Schere angriff, als Camille Ashby, allein schon aus Ekel vor der Schweinerei, die das anrichtete.
»Ich fürchte, das ist eine von diesen ungehörigen kleinen Geschichten«, meinte Temple, und dabei blitzten ihre Augen im Schein der Kerze. »Soll ich es erzählen?«
»Unbedingt«, entgegnete Ethan mit einem Grinsen in meine Richtung.
»Also. Es begab sich in unserem dritten Jahr«, hob sie blumig an. »Im Jahr davor hatten wir ein paar Vorlesungen zusammen besucht, sodass wir uns schon kannten, aber dann haben sich die äußeren Umstände verschworen, und wir wurden indieselbe Arena geworfen. Wir haben festgestellt, dass wir viel gemeinsam hatten – sowohl was die freie Meinungsäußerung anging als auch unsere Experimentierfreudigkeit, gesellschaftlich wie sexuell.«
»Mir gefällt die Geschichte schon jetzt«, meinte Ethan begeistert.
»Um die Sache auf den Punkt zu bringen: Camille war längst nicht so emanzipiert, wie sie mich glauben gemacht hat. Sie wollte immer gewinnen, sie war eifersüchtig und eine ziemlich rachsüchtige kleine Schlampe. Für sie war unser Techtelmechtel eine ganz ernsthafte …«
»Warte, wie war das gerade? Hast du Techtelmechtel gesagt?« Ethan bedachte sie mit einem gequälten Blick. »Warum willst du hier ausgerechnet die interessanten Details unter den Teppich kehren?«
»Du hast doch Fantasie – setze sie ein«, riet Temple ihm. »Jedenfalls. Als Camille mich eines Nachts mit einem Jungen erwischt hat, wurde die Sache gefährlich. Sie hat meinen Computer zertrümmert und meine Kleider zerrissen. Hat die bösartigsten Gerüchte über mich verbreitet. Am Anfang habe ich noch versucht, unsere Freundschaft zu retten, aber nach dem Vorfall mit der Schere habe ich
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