Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
Vom Netzwerk:
gemacht, dass ich da wegkam. Ich habe sie seit Jahren nicht gesehen, aber bei den Problemen, die sie hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie sich groß verändert hat.«
    »Sie ist immer noch leicht reizbar«, pflichtete Ethan ihr bei.
    Temple nahm ihr Glas in die Hand. »Es muss ermüdend sein, die meiste Zeit seines Lebens darauf zu verwenden, sich zu verstellen. Mit der Zeit werden die Geheimnisse zu einer schrecklichen Last.«
    Ich musste an die Geheimnisse meines Vaters denken und an meine eigenen Geheimnisse und war einen Moment lang ganz deprimiert.
    »Warum sollte sie ihre sexuelle Orientierung geheim halten?«, fragte ich etwas naiv. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich irgendjemand für ihr Privatleben interessiert.«
    »Du unverbesserliche Optimistin. Mach dir nichts vor! Emerson ist vielleicht ein liberales Kunst-College, aber der Vorstand und die meisten ehemaligen Studenten sind immer noch ziemlich konservativ. Und Camilles Familie ist sogar noch schlimmer, besonders ihr Vater. Dem alten Mann würde wahrscheinlich der Schädel platzen, wenn sie sich outen würde. Obwohl das kein Unglück wäre«, fügte Temple mit giftiger Stimme hinzu.
    Am Mittag, als ich Camille und Devlin zusammen auf dem Friedhof gesehen hatte, war ich schnell dabei gewesen, die falschen Schlüsse zu ziehen und den beiden eine Liebesbeziehung zu unterstellen, und dass ich jetzt vor allem Erleichterung empfand, sprach auch nicht gerade für mich.
    Ich dachte daran, wie seine Hand auf meinem Arm gelegen hatte, an das höhnische Streicheln des Geistes, und ich begann zu frösteln. Der Vorfall auf dem Friedhof hatte mich sehr mitgenommen, aus vielen verschiedenen Gründen und in vielerlei Hinsicht. Devlin war für mich so tabu, als wenn er selbst ein Totengeist gewesen wäre. Und doch musste ich unablässig an ihn denken.
    An unserem Tisch trat Schweigen ein, denn der erste Gang wurde serviert   – Krabbensuppe für Ethan und Temple, Rucola-Salat mit Roter Beete für mich. Als der Kellner sich entfernte, fiel mein Blick erneut auf den Geist. Sein frostkalter Blick bohrte sich in meine Augen, sodass mir ein eisiger Schauer durch den Körper fuhr. Aber anders als in Devlins Gegenwart hatte ich die Situation jetzt voll im Griff   … bis ich das Bersten von Glas hörte.
    Einen entsetzlichen Augenblick lang glaubte ich, er habe das Fenster zum Zerspringen gebracht. Doch dann wurde mir klar, dass das Geräusch von unserem Tisch gekommen war. TemplesGlas war zerbrochen und gegen ihren Suppenteller geknallt. Schockiert starrte ich auf das dunkle Rot, das zwischen ihren Fingern hindurchtropfte.
    »Temple, deine Hand!«
    »Nein, ist schon gut. Das ist nur Wein. Siehst du?« Sie tupfte sich die Hand mit der Serviette trocken. »Ich weiß nicht, was passiert ist. Das Glas ist einfach   … auseinandergefallen.«
    Ethan war aufgesprungen und um den Tisch herum hinter ihren Stuhl gerannt. »Bist du sicher? Lass mich mal sehen.«
    »Ich hab mich nicht geschnitten«, beharrte sie und schob ihren Stuhl zurück. »Ich wasche mir das nur mal schnell ab. Esst ihr zwei ruhig weiter.«
    Noch bevor sie sich erhoben hatte, war die Bedienung zur Stelle, um den verschütteten Wein aufzuwischen und das zerbrochene Glas zusammenzukehren, und das alles ging so unauffällig vor sich, dass keiner der anderen Gäste mitbekam, dass hier etwas nicht in Ordnung war.
    Ein frisches Glas wurde auf den Tisch gestellt, Wein wurde eingeschenkt, und ich wagte abermals einen Blick aus dem Fenster. Die Scheibe hatte sich beschlagen. Ich sah, wie die Kerzen auf den Tischen Funken sprühten, und fragte mich, wohin der Totengeist entschwunden war.
    Plötzlich erhob sich an einem der Nebentische ein Mann und ging zu Ethan hin. Ich nahm an, dass es ein Kollege war, und schenkte der Unterhaltung kaum Beachtung, bis ich meinen Namen hörte. Ich schaute ruckartig auf.
    »Tut mir leid. Ich war gedanklich ganz weit weg.«
    »Ich weiß nicht genau, ob Sie Daniel schon kennengelernt haben«, sagte Ethan. »Er ist einer der angesehensten Historiker von South Carolina.«
    »Die Einschätzung hängt natürlich ganz davon ab, wen Sie fragen.« Sein Lächeln hatte etwas Wehmütiges, leicht Selbstironisches. »Daniel Meakin.«
    »Amelia Gray.«
    »Wenn es irgendetwas gibt, was Sie über Charleston wissen wollen, ist Daniel Ihr Mann«, sagte Ethan.
    »Das werde ich mir merken.«
    Er richtete das Wort wieder an Meakin. »Amelia ist selbst auch so eine Art Historikerin. Sie ist

Weitere Kostenlose Bücher