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Totenhauch

Totenhauch

Titel: Totenhauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf sie; dann wich sie zurück, und gleich darauf hörte ich eine Tür klicken.
    Jetzt war mir die Lust vergangen, weiter allein in diesem Archiv zu bleiben. Das Kellergeschoss war zu abgeschottet vomRest des Gebäudes. Ich packte alles zusammen und ging frühzeitig in die Mittagspause.
    Letztlich lief es darauf hinaus, dass ich an diesem Tag nicht noch einmal nach Emerson zurückkehrte. Als der Regen am Nachmittag endlich aufhörte, war ich bereits auf dem Coastal Highway und fuhr in Richtung Beaufort County.
    Schon als ich das Kellerarchiv verließ, hatte ich einen morbiden Drang verspürt   – ich wollte unbedingt die Stelle sehen, wo Mariama und Anyika ums Leben gekommen waren.
    Dieser Drang war alles andere als logisch, aber das war das Herz, das sich in dem Kondenswasser meines Fensters gebildet hatte, ja auch nicht, und das Gleiche galt für die dunkle Gestalt, die in Oak Grove aus dem Wald gekommen war. Ich war eine junge Frau, die Totengeister sah. Seit meinem neunten Lebensjahr war nichts in meinem Leben logisch gewesen.
    Vielleicht hätte ich zuerst nach Hause fahren und den Granatring holen sollen, den ich im Garten vergraben hatte, so wie Papa es mir gesagt hatte, aber das tat ich nicht. Eine Verbindung zu dem Geisterkind zu erhalten war ganz bestimmt nicht logisch, aber jetzt wusste ich, wer sie war, und brachte es einfach nicht übers Herz, den Ring in den Fluss zu werfen, in dem sie ertrunken war. Das erschien mir kaltherzig, wie ein Affront gegen sie und auch gegen Devlin.
    Nachdem ich die US 17 verlassen hatte, wurde die Fahrt verzwickter, und ohne das Navigationssystem in meinem SUV hätte ich mich leicht verirren können in dem Gewirr von zweispurigen Teerstraßen und Feldwegen, die diese ländliche Gegend kreuz und quer durchzogen. Ich hatte die Strecke jedoch sorgfältig eingegeben, bevor ich Charleston verließ, und die tüchtige Computerstimme lenkte mich geradewegs zu meinem Ziel.
    Ich hielt am Straßenrand, stieg aus dem Wagen und kletterte über eine leichte Böschung auf die Brücke.
    In der ganzen Zeit, die ich dort war, sah ich nur einen einzigen anderen Wagen, und als der an mir vorbeifuhr, kurbelte der Fahrer sein Fenster herunter und fragte, ob ich Hilfe brauchte. Dankend verneinte ich, winkte ihm nach und blickte dann wieder auf den Fluss hinunter und hing meinen Gedanken nach.
    Das Wasser unter der Brücke war nicht tiefer als etwa anderthalb Meter. Falls der Fluss viel Wasser geführt hatte, als Mariamas Wagen durch das Geländer gebrochen war, hatte das den Aufprall möglicherweise gedämpft, obwohl das Ergebnis wahrscheinlich das gleiche gewesen war.
    Ich fragte mich, warum sie damals die Kontrolle über den Wagen verloren hatte. Die Fahrstreifen waren schmal; vielleicht wollte sie einem entgegenkommenden Fahrzeug ausweichen, oder vielleicht war ihr ein Tier vor das Auto gelaufen. Falls es auf der Brücke glatt gewesen war, könnte der Wagen dadurch ins Schleudern geraten und geradewegs durch das Geländer geschossen sein.
    Das waren alles nur sinnlose Spekulationen. Niemand würde jemals wirklich erfahren, was geschehen war.
    Der Himmel war grau, die Luft feucht und schwül und geschwängert vom Salzduft der Gezeitentümpel. Alles um mich her war still und regungslos.
    Ich stand sehr lange da, doch ich spürte nie die Präsenz der beiden.
    Schließlich ging ich zurück zu meinem Wagen, stellte das Navigationssystem neu ein und fuhr über die Brücke, ohne mich noch einmal umzusehen.
    Meinen nächsten Halt machte ich auf dem Friedhof von Chedathy, der ein paar Meilen nordöstlich von Hammond lag, am Ende einer einspurigen Schotterstraße, die durch einen dichten Tunnel aus schiefen Virginia-Eichen verlief.
    Ich hatte in den Todesanzeigen gelesen, wo Mariama undAnyika beerdigt waren, doch ich verstand mein zwanghaftes Bedürfnis, ihre Gräber zu besuchen ebenso wenig, wie ich mir einen Reim darauf machen konnte, warum ich unbedingt die Brücke hatte sehen müssen. Ich wusste nur, dass ich erst Ruhe finden würde, wenn ich beides getan hatte.
    Ein verrosteter Metallbogen markierte den Friedhofseingang, doch die Zufahrt war zu schmal, als dass ich den Wagen dort hätte abstellen können. Also fuhr ich auf die Rückseite des Geländes und an einen Graben, in dem schwarzgrünes Wasser stand.
    Die Gräber hier waren alt und nach Gullah-Tradition geschmückt: Uhren, die so gestellt waren, dass sie die Todesstunde anzeigten, zerbeulte Lampen, die

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