Totenhaut
bleiben muss.«
Fiona nickte, ging in ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Sie holte ihr Handy aus der Handtasche und schaltete es ein. Noch ehe sie die Karte von Cheshire Consorts gefunden hatte, wies ihr Telefon sie piepsend auf Meldungen auf der Mailbox hin.
Sie hörte die erste ab, hörte Jeffs betrunkene Drohungen und löschte sie. Die nächsten drei Anrufe waren auch von ihm, wütender und noch betrunkener, reuevoll und flehend, dann geifernd und schmähend. Sie löschte auch diese. Die letzte war von heute Morgen, eine Kollegin aus dem Salon, die sich erkundigte, ob mit ihr alles in Ordnung sei.
Sie stellte fest, dass ihr Akku schon ziemlich leer war. Wieder kramte sie in ihrer Handtasche und zog endlich die Karte von Cheshire Consorts hervor.
Was mach ich denn da, zum Teufel?, fragte sie sich. Ist mein Leben nicht auch so schon versaut genug, dass ich mir auch das noch antun muss?
Sie wollte die Karte schon zusammenknüllen, da tauchte plötzlich eine Erinnerung auf von jenem Tag, an dem ihre Tochter gestorben war. Sie hatte dagelegen und auf Emilys leichte Schritte gelauscht, wie sie aus dem Haus gelaufen waren. Hatte einfach nur dagelegen und nichts getan.
Seither war nicht ein einziger Tag in ihrem Leben vergangen, an dem sie nicht innegehalten und gedacht hätte:
Wenn ich doch nur aufgestanden wäre … Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als könne sie den Gedanken damit wegwischen. Dann öffnete sie die Augen und starrte wieder auf die Karte. Verdammt, sie hatte schon einen gefährdeten Menschen in ihrem Leben im Stich gelassen. Sie würde es bei dieser Alexia nicht wieder so weit kommen lassen. Sie holte Luft und rief die Mobilnummer an, die auf der Rückseite der Karte stand.
Als schließlich jemand ranging, war alles, was Fiona hören konnte, ein Brausen, das klang wie vorüberrauschender Verkehr. Nach ein paar Sekunden fragte sie zaghaft:
»Hallo? Ist da Alexia?«
»Was ist?« Die Stimme eines Mannes, auch wenn sie sehr hoch klang, als sie das fragte.
»Ich suche Alexia. Ist sie da?«
»Wer ist denn da?«
»Eine Freundin.«
»Von wo?«
»Von …« Fiona suchte nach einer Antwort, doch ihr fiel nichts ein. »Bitte geben Sie mir Alexia.«
Schweigen. »Wer sind Sie?«, fragte Fiona. »Warum haben Sie Alexias Handy?«
Noch immer keine Antwort.
»Das waren Sie, letzte Nacht in dem Motelzimmer, stimmt’s? Was haben Sie mit ihr gemacht?«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Fiona drückte auf die Wahlwiederholungstaste. Doch sie hörte nur: »Der Teilnehmer ist nicht erreichbar.« Sie schlang die Arme um ihren Körper und wartete darauf, dass ihr Herzschlag sich wieder verlangsamte.
Die Bürotür stand offen. Hazel winkte sie herein und sagte: »Okay. Wenn Sie sich da in die Ecke setzen würden.« Sie zog eine Schublade auf und holte eine Polaroidkamera heraus. »So. Jetzt nehmen Sie bitte das Haar aus dem Gesicht. Sehr schön.« Es blitzte. »Jetzt mache ich nur noch schnell eine Nahaufnahme von dem Riss über der Augenbraue. Waren Sie schon beim Arzt?«
Fiona schüttelte den Kopf. »Ich wollte später in die Notaufnahme gehen.«
»Ich glaube, das sollten Sie wirklich«, meinte Hazel. »Sie wollen doch sicher keine Narbe davontragen.«
Sie fotografierte Fiona von vorn und dann von der anderen Seite. »Wunderbar. Wie wär’s mit einer Tasse Tee, während ich Ihre Akte fertig mache?«
Zwei weitere Frauen saßen am Küchentisch, eine mit einer Zigarette in der Hand über die Vormittagsausgabe der Lokalzeitung gebeugt.
»Sarah, Cathy, das ist Fiona. Sie wird ein paar Tage bei uns bleiben.« Hazel verließ die Küche, und Sarah stand auf und griff nach dem Wasserkocher. Fiona spürte eine gut eingeführte Routine.
»Tee?«, fragte Sarah.
»Danke«, antwortete Fiona. Sie kämpfte gegen das Verlangen an, sich eine eingebildete Haarsträhne aus der Stirn zu streichen, denn sie wusste, dass dies nur ein Versuch wäre, ihre Verletzung zu verbergen. Nervös griff sie nach ihren Zigaretten und merkte, dass sie nur noch ein paar hatte. Trotzdem hielt sie die Schachtel in die Runde.
»Mag jemand eine Zigarette?«
Cathy blickte auf, und Fiona sah, dass sich verblasste Brandwunden seitlich an ihrem Gesicht entlangzogen.
Ein riesiger Brocken ihrer Befangenheit fiel von ihr ab.
»Nein, danke.« Cathy lächelte und hielt ihre eigene zur Erklärung hoch.
Die Schlagzeile auf der Titelseite der Zeitung fiel Fiona ins Auge. H AT DER S CHLÄCHTER WIEDER ZUGESCHLAGEN
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