Totenhaut
seinetwegen fragte und nicht für jemand anderen, hatte sie ihm angeboten, ihm auch zu erklären, wie man falsche Nägel anklebte. Lächelnd hatte er das Angebot angenommen.
Eine Stunde später saßen sie in einem Café, er mit einer großen Tüte voller Make-up auf dem Sitz neben sich.
»Gerade war es hier drin.«
Die Worte wurden geflüstert, beinahe ohne dass die Lippen sich bewegten. Dawn musste an einen Novizen der Bauchredekunst denken.
»Was?«, fragte sie, ging ins Zimmer und setzte sich ans Bettende.
»Das Rotkehlchen. Ich habe ein paar Krümel aufs Bett gestreut. Es ist hereingehüpft und hat sie aufgepickt. So hübsch, so zierlich.«
Sie konnte erkennen, dass sich unter dem Verband ein erstes zaghaftes Lächeln verbarg. Die bange Vorahnung, die sich ständig verstärkt hatte, seit der Polizist ihr Fragen gestellt hatte, schwächte sich ein wenig ab und wich einem warmen Gefühl der Bewunderung.
Sie konnte sich die Schmerzen nicht vorstellen, die er durchlitt, doch sie wusste, dass sie ihnen nicht gewachsen gewesen wäre. Und so ergriff sie seine Hand und streichelte die glatte Haut. »Es tut gut, dich wieder glücklicher zu sehen.«
Der Patient schaute noch immer aus dem Fenster. »Sprechen, essen, schlafen. Es tut immer noch alles weh. Aber jetzt habe ich wieder das Gefühl, dass es das wert ist. Wert für den Menschen, der ich sein werde.«
Dawn nickte. »So ist es recht. Du weißt ja, ich bin schon froh, wenn ich nur aus diesem elenden Motel wegkomme. Das zerfällt schon in seine Einzelteile. Wenn eine Inspektion kommt, wird es auf der Stelle geschlossen.« Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Deine Verbände müssen später gewechselt werden. Ich bin sicher, er wird dir auch ein paar Schmerztabletten mitbringen.«
Schweigen herrschte im Zimmer, während sie überlegte, wie sie den nächsten Satz formulieren sollte. Sie entschied sich für einen beiläufigen Ton. »Vor ein paar Tagen war ein Polizist im Motel.«
Zwei Augen drehten sich zu ihr, die untere Hälfte der Augenhöhlen noch immer blutunterlaufen.
»Er hat Fragen gestellt. Jemand dachte, er hätte gehört, wie in einem der Zimmer jemand keine Luft bekam. Es hätte sich angehört, als wäre diese Person in ernsthaften Schwierigkeiten.«
Sie wartete auf eine Antwort, erhielt aber keine.
»Ich habe ihm gesagt, dass zu mir niemand gekommen sei, der Hilfe brauchte.« In der Hoffnung, eine Bestätigung zu erhalten, blickte sie auf. Doch der Patient hatte sich wieder dem Fenster zugewandt.
Sie griff in ihre Tasche und holte ein paar Frauenzeitschriften sowie ein Exemplar der Lokalzeitung heraus.
Die Außenspalte der Titelseite war Mutmaßungen über das jüngste Opfer des Schlächters gewidmet, das noch immer nicht identifiziert war. »Ich habe dir ein bisschen was zum Lesen mitgebracht.«
15
A
m nächsten Tag um 11:17 Uhr gab Jons Computer ein »Ping« von sich. Jemand hatte das Kennzeichen von Gordon Deans Wagen in die landesweite Computerdatenbank für gestohlene oder verlassene Fahrzeuge eingegeben. Das System hatte es dann mit der Anfrage abgeglichen, die Jon eingegeben hatte, und die Meldung an seinen Computer weitergeleitet.
Er hob eine Hand und schnippte mit den Fingern zu Rick hinüber. »Bingo! Auf dem Kurzzeitparkplatz am Bahnhof Piccadilly steht ein silberner Passat, der schon längst nicht mehr da stehen dürfte. Das Kennzeichen stimmt mit dem von Dean überein.«
Erstaunt sah sich der Parkwächter ihre Ausweise an. »Ich wollte ihn gerade abschleppen lassen.«
»Das ist jetzt erst mal nicht notwendig«, meinte Jon. »Wo steht er?«
Der Wächter führte sie auf die dritte Parkebene. Jon streifte mit dem Kopf beinahe die niedrige Betondecke.
»Da drüben in der Ecke. Sehen Sie ihn?«
»Schönen Dank.«
Sie gingen hinüber und spähten durch die Wagenfenster. Rick beugte sich über die Motorhaube, um auf die Ablage hinter der Windschutzscheibe schauen zu können.
»Parkschein wurde vor fünf Tagen um fünf nach sieben Uhr morgens gekauft. Passt dazu, dass er das Novotel in der Früh verlassen hat. Dann ist er direkt hierher gefahren.«
Jon sah sich den Rücksitz an. »Leer. Was denken Sie?«
»Kommt mir ein bisschen früh vor, um einen Zug zu erwischen«, antwortete Rick.
»Es sei denn, Sie wollen einen Zug erwischen, um ein Flugzeug zu erwischen. Die fahren praktisch rund um die Uhr zum Flughafen.«
»Warum nicht einfach hinfahren?«
»Stimmt auch wieder.« Jon steckte die Hand in die
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