Totenhaut
als ich dachte«, sagte Rick, während er sein Sakko auszog und die Krawatte lockerte. »Ist Ihnen damit nicht heiß?«, fragte er mit einer Kopfbewegung in Richtung Jons abgewetzter Lederjacke.
»Nein, das geht schon«, antwortete Jon, der sich der Schweißperlen auf seiner Stirn nur allzu bewusst war.
Wieder ergriff Rick die Initiative und eröffnete das Gespräch mit der jungen Frau, die sie an der Bar bediente. Sie schüttelte den Kopf. »In dieser Nacht war ich nicht im Dienst. Warten Sie, ich hole Steve.« Sie ging zur Kasse. Ein dünner Mann erschien. Die Decke hinter der Bar war so niedrig, dass er sich ein wenig bücken musste. Als er sich das Foto angesehen hatte, kratzte er sich den Kopf.
»Kann ich ums Verrecken nicht sagen, Kumpel. In dieses Lokal passen über siebenhundert Leute rein. Es gibt Bars und Tanzflächen über drei Stockwerke verteilt.«
Rick nahm das Foto wieder an sich und blickte Jon an.
»Trinken wir was?«
»Erst muss ich was loswerden. Wo ist denn hier das Klo?«
Rick zeigte zur Seite. »Das nächste ist die Stufen hier runter und dann rechts.«
Am Ende der Stufen befand sich eine kleine Tanzfläche. An der Wand dahinter lehnten mehrere Männer in einer Reihe, jeder mit seinem Getränk in der Hand. Als Jon die Stufen hinunterging, konnte er förmlich spüren, wie die Blicke der Männer ihn abtasteten. Schlagartig wurde ihm klar, wie man sich als Frau fühlen musste. Verlegen schlängelte er sich zwischen den wenigen Leuten auf der Tanzfläche durch. Er erkannte die Musik, zu der sie tanzten: Es war das Lied auf der Kassette, die sie in Gordon Deans Wagen gefunden hatten. Erleichtert stellte er fest, dass außer ihm niemand auf der Toilette war. Er stellte sich an ein Urinal in der Ecke und hoffte, dass niemand kommen und sich neben ihn stellen würde.
Als er wieder nach oben in die Bar kam, ging er zu Rick und sagte: »Hören Sie, es hat doch keinen Sinn, noch länger hier zu bleiben.«
Rick sah ihn an. »Nein, Sie haben recht. Auf zur nächsten Station.«
Jon wandte sich schnurstracks zur Treppe.
Draußen stellte Rick fest: »Das war nicht unbedingt Ihre Kragenweite, was?«
»Was meinen Sie damit?«, fragte Jon zurück, noch immer überrascht davon, wie unwohl er sich gefühlt hatte, als er unter den unverhohlen taxierenden Blicken die Stufen hinuntergegangen war.
»Laute Musik, überfüllte Lokale. All das.«
Jon sah hoch zum Himmel und genoss die kühle Luft auf seinem Gesicht. »Ich bin mir vorgekommen wie der letzte Idiot. Gehen Sie freiwillig in solche Lokale?«
Rick lächelte. »Wenn mir nach Feiern ist.«
Jon seufzte. Ihm war nicht klar, ob das vielleicht ein Euphemismus für Aufriss war. Die Tanzfläche im Untergeschoss hatte nicht so ausgesehen, als würde sie für andere Zwecke genutzt. »Nee. Dann schon lieber eine richtige Kneipe. Wo man sich wohlfühlen und unterhalten kann.«
Im Laufe dieses Gesprächs hatte Rick sie in eine dunklere Seitenstraße geführt, wo auf halber Strecke ein rotes Schild in der Luft zu schweben schien. Crimson. »Da sind wir schon«, sagte Rick, der noch einmal einen Blick auf den Ausdruck warf. »Um zweiundzwanzig Uhr einundzwanzig hat er hier den Eintritt bezahlt. Und noch einmal achtunddreißig Pfund um halb drei. Sperrstunde.«
Jon holte tief Luft. »Ist das so was Ähnliches wie das Lokal vorhin?«
Rick musste lachen. »Das hier hat mit gar nichts Ähnlichkeit.«
»Herr, steh mir bei. Das klingt ja furchtbar.«
Dem auf dem Pflaster verstreuten Unrat ausweichend ging Rick auf den Eingang zu. »Normalerweise gibt’s hier eine Schlange.« An der Tür hing ein Zettel. »Aha. Miss Tonguelash ist nicht da. Heute Abend geschlossen.«
Jon sah ihn fragend an.
»Ihm gehört das Lokal, und er macht hier auch den DJ, den Varietékünstler und den Stegreifkabarettisten. Schauen Sie.« Rick las Jon vor, was auf dem Zettel stand: »Das Biest kommt wieder! Morgen.«
»Was ist das hier? Ein Nachtclub, oder was?«
Rick hielt den Blick auf die Tür gerichtet. »Ich würde es als Sammelplatz gemischter Geister bezeichnen. Aber im Wesentlichen ist es ein Nachtclub.«
»Ein Nachtclub für Schwule?«
»Nicht ausschließlich. Nein. Wir befinden uns hier an der Grenze zwischen dem Gay Village und dem Rest der Stadt. Hier tauchen alle möglichen Typen auf, Schwule, Heteros, jede Menge Transvestiten. Sogar Prostituierte von der Minshull Street kommen hin und wieder vorbei, um sich ein paar von den Gratiskondomen zu mopsen. Sie wissen schon,
Weitere Kostenlose Bücher