Totenhaut
Staubsauger rausholen, wenn du schon da bist?«
»Alice, vergiss das Staubsaugen. Du solltest lieber die Beine hochlegen.«
»Und wer macht dann hier sauber?«
»Ich mach das. Morgen vor der Arbeit. Okay?«
Alice zuckte mit den Achseln. »Ich muss wohl öfter schwanger werden.«
Bloß nicht! Die Aussicht auf ein Baby machte ihm schon Angst genug. Er sah zu ihr hin, in der Hoffnung, irgendetwas in ihrer Miene würde ihm verraten, dass sie nur Spaß machte. Aber sie stand mit dem Rücken zu ihm und sortierte den Stoß Bügelwäsche.
»Also, wie ging es Fiona?«
Alices Hände hielten inne. »Ehrlich gesagt, mache ich mir Sorgen um sie. Ich meine, sie schaut, dass sie ihr Leben in den Griff kriegt. Sie will sich was mieten, damit sie endlich von diesem Arschloch, das sie da geheiratet hat, loskommt. Aber sie redet noch immer von dem, was sie glaubt, in diesem Motelzimmer gehört zu haben.«
Jon stand mit verschränkten Armen in der Tür.
»Sie ist fest entschlossen herauszufinden, was mit dieser Alexia oder wie sie heißt, passiert ist. Sie ist zu so einer Begleitagentur gegangen. Die, von der sie die Karte gefunden hat.«
Er nickte.
»Die Besitzerin hat mit einem Mädchen gesprochen, sie aber dann nicht eingestellt. Und jetzt will Fiona die Straßennutten abklappern, um rauszufinden, ob sie sie kennen.«
Jon rief sich vor Augen, was sich in Manchesters Rotlichtbezirken nach Einbruch der Dunkelheit abspielte. Es war traurig, aber leider eine Tatsache, dass selbst viele seiner Kollegen die Prostituierten als Freiwild für ein bisschen Spaß ansahen. Manchmal machten Geschichten die Runde, dass sie aufgefordert wurden, in Polizeibusse einzusteigen, oder dass man Gratisdienste von ihnen verlangte im Austausch für verstärkte Streifen, wenn wieder einmal ein gewalttätiger Kunde die Gegend unsicher machte. Und in dieser brutalen Szene wollte Fiona sich umsehen und Fragen stellen. »Da muss sie aber gut auf sich aufpassen.«
»Ich weiß. Aber sie ist entschlossen herauszufinden, ob das Mädchen noch lebt. Sie ist da richtig fixiert drauf.«
»Hör mal, wenn sie dir mehr erzählt von dem, was sie vorhat, sag mir Bescheid. Ich will nicht, dass sie sich in Schwierigkeiten bringt. Es gibt da wirklich ekelhafte Drecksäcke, die sich von solchen Frauen aushalten lassen.«
Als Fiona durch Belle Vue fuhr, wurde ihr Blick vom Platinum Inn angezogen. In einigen der Zimmer im Erdgeschoss brannte hinter vorgezogenen Vorhängen Licht.
Mehrere Paare spazierten den Gehsteig entlang, und sie fragte sich, welche davon echt waren und welche nicht. Fünf Minuten später fuhr sie hinter dem Bahnhof Piccadilly vorbei. Über einer riesigen Werbetafel angebrachte Scheinwerfer warfen ihr grelles Licht auf eine Frau, die sich im Bikini räkelte und sich mit leicht geöffneten Lippen der Kamera entgegenstreckte. Fiona hatte gerade noch so viel Zeit zu lesen, dass es sich um Werbung für eine Fernsehsendung über plastische Chirurgie handelte, die demnächst ausgestrahlt werden sollte. Dann führte eine Linkskurve sie in eine dunkle Straße, an deren Rand mehrere verschlossene Gebäude der Universität Manchester standen. Sie kannte sich in diesem Stadtteil nicht aus und verlangsamte ihre Geschwindigkeit auf Schritttempo. Mit einem Male bemerkte sie Frauen, die sie noch Augenblicke zuvor nicht wahrgenommen hatte.
Und als sie jetzt genauer hinsah, konnte sie noch etliche mehr ausmachen. Einige davon drückten sich weiter hinten auf dem Kopfsteinpflaster der Seitenstraßen herum, die von der Hauptstraße abzweigten. Ein Schild fiel ihr ins Auge: Minshull Street. Eine Frau trat an die Gehsteigkante und machte ihr Zeichen. Der Wagen fuhr unter einer Straßenlampe vorüber, und als die Prostituierte sah, dass sie es mit einer Frau am Steuer zu tun hatte, ließ sie ihre Hand fallen.
Schockiert über die Existenz einer Welt, von der sie bis vor wenigen Sekunden kaum eine Ahnung gehabt hatte, beschleunigte Fiona wieder ein wenig. Sie fuhr weiter. Zu ihrer Linken konnte sie die hellen Lichter der Canal Street gerade noch ausmachen. Die Mädchen hier waren bunter angezogen, hatten übertriebene Dauerwellen und zu viel Rot auf ihren Lippen. Sie erhaschte Blicke auf silberne Plateauschuhe und Mikroröckchen und wusste nicht, ob das nicht vielleicht Barbesucherinnen auf dem Weg ins Gay Village waren.
Kurz darauf erreichte Fiona die hell erleuchtete Gegend um die Whitworth Street. Langsam tauchten immer mehr Kneipen und Restaurants auf, und
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