Totenheer (German Edition)
dass du mich von me i nen Qu a len erlöst hast. Womöglich hast du mich sogar vor dem Tod bewahrt, denn als ich unter der Erde gefangen war, öffn e ten sich für mich die Pforten zur Sphäre zwischen Leben und Tod. Dort sah ich Gesichter wieder, die ich längst vergessen geglaubt habe, Angehörige meines alten Stammes, Menschen, vor Jahrhunderten gestorben, und sie r e deten mit mir in der längst vergessenen Sprache, sagten, dass alles gut sei, dass mein Platz bei ihnen ist. Und ich glaubte ihnen, ja, Larkyen, ich war mir sicher, ich sei eine Sterbliche, ein Mensch. Es war, als hätte ich vergessen, wer ich bin und welche Wege ich b e reits seit Jahrhunderten beschritten hatte. Zu gern wollte ich bei ihnen bleiben. Sie begleiteten mich durch eine weite Steppe, dort wo heute das Land Majunay liegt. Gräser wiegten sich in einer lauwarmen So m merbrise, der Himmel war purpurfarben, und alles war gut. Ich versank im Meer meines eigenen Unte r bewusstseins, jenem Ort scheinbar unbegrenzter Möglichke i ten, bis ich irgendwann deine Stimme hörte. Sie übertönte das Flüstern der Geister, durchdrang die dichte Dunkelheit des Er d reichs, dieses trügerische Meer, das mich zu verschlingen dro h te. Deine Stimme, Larkyen, erinnerte mich daran, dass ich eine Unsterbliche bin und dass es eine Welt gab, in der du auf mich wartest, eine Welt, in der ich mich von der Lebenskraft meiner Beute nähre, in der ich meine Feinde zerschmettere. Für einen M o ment glaubte ich, du wärst längst bei mir, doch dann begriff ich, dass es der Wind war, der deine Botschaft nach Kentar g e tragen hatte. Und ich wusste, du würdest bald zurückkehren.“
Larkyen kannte die Gefahren, die in jener mysteriösen und unerklärlichen Sphäre lauerten, dort wo die geliebten Toten noch lebendig waren, nicht als Geister, sondern aus Fleisch und Blut. Vielleicht war es wirklich nur das eigene Unterbewuss t sein, das sie einem vorgaukelte, doch das ließ sie noch lange nicht weniger wirklich erscheinen. Der Verstand erschuf sich oftmals eine eigene Realität. Vielleicht aber war es auch ledi g lich ein Trick des leibhaftigen Todes, um der Unsterblichen doch noch habhaft zu werden. Es gab Erzählungen über U n sterbliche, die beschlossen hatten, in jener fremden Welt zu bleiben. Sie verloren sich darin, vergaßen, wer sie waren und starben irgen d wann für immer.
Patryous bemerkte die noch immer blutende Wunde auf Lark y ens Brust und wusste, was geschehen war. Besorgnis zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, und sie strich mit ihrer Hand über den Schnitt.
„Er hat dich mit dem schwarzen Stahl verletzt.“
„Seine Klinge hat mich nur gestreift.“
„Diese Wunde wird so langsam verheilen wie die eines Sterbl i chen und könnte in den nächsten Tagen deine schwache Stelle sein.“
„Das Wagnis war es wert, ich würde es jederzeit wieder eing e hen.“
„Ja, das würdest du, denn das ist es, was dich auszeichnet.“ Ihre Stimme brach, war nun kaum mehr als ein Flüstern. Nicht viel L e benskraft wohnte ihrem Leib inne. Der Blick in ihren so glanzlosen Augen verriet den Hunger einer Jägerin. Unruhig spähte sie in die Nacht hinaus, auf der Suche nach Beute, aber vergebens.
„Meine Kräfte sind geschwunden. Ich muss mich nähren.“
„Dazu wirst du noch viel Gelegenheit bekommen“, sagte Larkyen in Gedanken an die bevorstehenden Ereignisse. „Aber bis es soweit ist, werden einige Tage verstreichen. Nimm nun von mir die Leben s kraft, die du brauchst.“
Er ergriff ihre Hände und zog sie nahe zu sich heran. Er g e noss ihre Wärme, ihren Geruch, und sie zehrte von ihm in he i ßen Wogen und in der Berührung eines nicht enden wollenden Kusses. Ihr Herz schlug hastiger, ihre Atmung wurde stärker, ebenso wie der Griff ihrer Hände. Endlich begannen ihre A u gen wieder zu schimmern – ein Spiegel des schwarzen Leben s feuers.
Seine Gefährtin erfuhr von ihm alles, was sie über die G e schehnisse in der Welt wissen musste. Ihre Reaktion wechselte zwischen Bestürzung und einem Hauch von Freude, der Vo r freude eines Raubtiers auf die Jagd. Wie Larkyen es nicht a n ders erwartete, äußerte sie den Wunsch, an seiner Seite und der des Totenheers nach Ken-Tunys zu reiten. Dennoch konnte sie dem einst abgelegten ewigen Schwur nichts Gutes abgewinnen, erkannte aber wie auch Larkyen die Notwendigkeit einer so l chen Armee an.
Seite an Seite standen die Unsterblichen auf den Dünen und be o bachteten die Gespenster. Im Mondlicht
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