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Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Sandford
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Was auch immer passierte, Madison hatte es nicht verdient, ins Gefängnis zu kommen.
    Barber ging wieder ans Fenster, kurbelte das Rollo ganz nach oben und ging zur Tür seines Büros. Seine Sekretärin saß in einem vom Hauptraum abgetrennten Erker. In dem großen Raum saßen vier Frauen und zwei Männer in durch Trennwände abgeteilten Arbeitsbereichen, telefonierten und hackten auf Tastaturen herum wie Hightech-Mäuse in einem Labyrinth. Er sprach seine Sekretärin an. »Jean, ich muss Sie um etwas bitten. Könnten Sie rüber zu Macy’s fahren und mir ein Oberhemd besorgen, weiß oder hellblau? Ich geb Ihnen das Geld …«
    »Sie meinen jetzt sofort?«
    »Wenn das möglich wäre«, sagte Barber. »Ich stecke in einer Bredouille, ich muss heute Abend die Stadt verlassen …« Er zupfte vierhundert Dollar aus seiner Brieftasche und gab sie ihr.
    »Morgen um zehn haben Sie aber doch die Besprechung mit den Projekt-Einunddreißig-Managern.«
    »Bis dahin sollte ich zurück sein«, sagte er. »Besorgen Sie mir das Hemd, ja? Wenn Sie noch so viel zu tun haben, dass Sie länger bleiben müssen, zahle ich Ihnen die Überstunden.«

    »Das ist nicht nötig …« Sie nahm ihren Pullover und ihre Handtasche und verließ vor sich hin murmelnd den Raum. Barber ging in sein Büro zurück und trat gerade rechtzeitig ans Fenster, um zu sehen, wie die Polizei ankam. Es waren zwei Fahrzeuge, beide von der Staatspolizei. Kein FBI. Ganz klar das Werk der Goodmans.
    Er könnte mit ihnen gehen, bei der Geschichte bleiben. Jemand anders sollte Lincoln Bowe abholen, also hatte er ihn bloß hingefahren … doch die anderen drei, Creasey, Sands und White, kannten alle irgendwelche Bruchstücke der Geschichte. Die Cops würden sie gegeneinander ausspielen, und früher oder später würde einer von ihnen auspacken.
    Barber war immer ein Outdoor-Typ gewesen, jemand, der sich gern bewegte. Eine Zelle von der Größe eines Badezimmers? Er rieb sich das Gesicht mit beiden Händen und blickte noch einmal auf den Parkplatz. Dabei kam ihm eine Idee, über die er lächeln musste. Am linken Arm trug er eine goldene Rolex. Er griff in die Schreibtischschublade, nahm eine Büroklammer heraus, bog sie gerade und kratzte sich am Rand des Rolex-Armbands das Handgelenk auf, bis es blutete, zwei dünne Kratzer oben und unten. Dann wechselte er die Uhr auf das andere Handgelenk und tat das Gleiche.
    Er legte die Uhr wieder um das linke Handgelenk, als er Stimmen im großen Raum hörte, Polizisten, die nach seinem Büro fragten. Er setzte sich hinter den Schreibtisch. Ganz ruhig, mehr als ruhig – eiskalt.
    Ein Polizeibeamter in Zivil streckte den Kopf durch die Bürotür und fragte: »Mr. Barber?«
    »Kommen Sie rein. Und machen Sie bitte die Tür zu.«
    Drei Cops. Einer von ihnen schob die Tür mit dem Fuß zu. Der Mann in Zivil sagte: »Mr. Barber, ich bin Lieutenant Clayton Bell, Virginia State Police …«
    Barber stand auf.

    Im Hauptraum stand eine Angestellte namens Cheryl Pence in ihrem Kabuff, als das Geschrei losging. »Nein, nein, nicht, nicht, Hilfe, Hilfe …«
    Es gab einen explosionsartigen Knall. Ohne nachzudenken rannte Pence zu Barbers Bürotür und riss sie auf. Die übrigen fünf Büroangestellten standen starrend da. Als die Tür aufging, sahen sie drei Beamte der Virginia State Police, die durch eine geborstene Fensterscheibe nach draußen starrten. »Was haben Sie getan?«, brüllte Pence sie an. »Was haben Sie nur getan …?«
    Bell drehte sich schockiert und mit bleichem Gesicht um und murmelte: »Wir haben nichts getan. Wir haben nichts getan.«
    Doch er sprach in die Luft. Pence war zurückgewichen und lief auf die Außentür zu, die übrigen fünf in panikartiger Flucht hinter ihr her. Bell sagte zu den beiden anderen Cops: »Wir haben nichts getan.«
     
    Draußen hatten sich drei Fernsehteams, die, wie sie meinten, einen Tipp von der örtlichen Polizei erhalten hatten, postiert und warteten darauf, die Verhaftung filmen zu können. Sie waren jedoch nicht darauf vorbereitet, dass fünf Stockwerke über ihnen ein Mann durch eine Glasscheibe geflogen kam. Ein Kameramann, der drehbereit dagestanden hatte, filmte die drei Polizisten am Fenster, die nach unten blickten.
    Die drei Reporter standen mit offenem Mund da. »Ach du Scheiße«, sagte schließlich einer von ihnen. Dann wandte er sich an den Kameramann. »Hast du das? Sag mir, ob du das hast?«
    »Ich hab die Cops«, erwiderte der Kameramann.
     
    Hundert Meilen entfernt

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