Totenklage
bringen.
Im Moment gab es aber noch einen gewissen Spielraum.
Er stieg die Treppe zu seiner Rumpelkammer hinauf, schloss den Waffensafe auf, nahm das Jagdgewehr, ein Remington Kaliber 243, und eine halbautomatische Schrotflinte, eine Beretta Kaliber 20, mit zwei Schachteln Patronen heraus. Das 243er hatte er zum letzten Mal vor sechs Monaten beim Antilopenjagen in Wyoming benutzt. Als er Wyoming verließ, konnte er beim Sandsackschießen aus hundert Metern Entfernung
drei Kugeln innerhalb von zwei Zentimetern platzieren. Das Zielfernrohr war in der Höhe von gut einem bis zweieinhalb Zentimetern auf hundert Meter justiert, so dass er bei jedem Schuss, den er von null bis hundert Meter abgeben wollte, nur zielen und abdrücken musste.
Oder er hatte es zumindest in Wyoming gekonnt. Er hatte das Gewehr zwar in einem mit Schaumstoff ausgekleideten Kasten befördert, aber man sollte besser nicht davon ausgehen, dass die Einstellung, vorgenommen vor sechs Monaten, und das an einer Waffe, die zweitausend Meilen transportiert worden war, noch stimmte.
Er sah auf seine Uhr. Er hatte gerade noch Zeit genug, um zu Merle’s zu fahren und um neun Uhr bei Madison zu sein. Er pfiff eine Zeile aus Eric Claptons »I Shot the Sheriff«, trug das Gewehr, die Schrotflinte und eine Tasche mit Jagdzubehör hinunter in sein Schlafzimmer, packte ein paar Sachen zum Anziehen und brachte alles ins Auto.
Gleichzeitig ermahnte er sich, daran zu denken, dass er noch bei einem Wal-Mart anhalten musste.
Die Endphase begann.
Arlo Goodman saß im Salon seiner Wohnung, die Füße auf einem antiken Tisch, den der Naturschutzverband von Virginia gestiftet hatte, und sprach mit Darrell. »Können wir bei dieser Sache außen vor bleiben? Das ist die einzige Frage, die zählt.«
»Absolut. Nichts deutet auf uns hin«, sagte Darrell. »Gar nichts. Bell und die anderen schwören bei Gott, dass Barber gesprungen ist. Ich denke, dass die Feds ihnen glauben. Zumal das Büro ziemlich demoliert worden wäre, wenn man einen Typ wie Barber aus dem Fenster geschmissen hätte. Er war gebaut wie so ein beschissener Gewichtheber, und Bell ist fünfundfünfzig und hat fünfzig Pfund Übergewicht. Er soll
Barber aus dem Fenster geworfen haben? Er hatte Glück, dass Barber nicht ihn rausgeworfen hat.«
»Das Problem ist, achtzig Prozent des Erfolgs sind Image«, sagte Arlo. »Die wollen ein bestimmtes Image. Die wollen einen Typ, der wirtschaftlich liberal ist, aber sowohl bei den Betbrüdern und -schwestern als auch bei den Waffennarren ankommt. Zurzeit bin ich das, aber wenn man nur ein bisschen dran dreht, werde ich zu einem Hermann Göring. Dann bin ich’s nicht mehr. Dann sind meine fünfzehn Minuten Ruhm vorbei.« Er stand auf, drehte eine Runde durch den Raum, kaute an einem Daumennagel und riss daran. Ein schmaler Streifen löste sich, er biss ihn ab und spuckte ihn auf den Teppich. »Hör mal, wir brauchen eine undichte Stelle. Wir müssen an die Medien durchsickern lassen, dass die Feds glauben, dass Barber Bowe umgebracht hat. Das muss schleunigst an die Öffentlichkeit. Alles steht auf des Messers Schneide …«
»Das können wir machen. Ich kann das machen«, sagte Darrell.
»Wenn wir das morgen in die Nachrichten kriegen – selbst wenn die Feds Ausflüchte machen -, stehen wir gut da. Denn wenn das morgen in den Nachrichten kommt, wird ein Selbstmord plausibler erscheinen. Dann stehen Bell und diese anderen Stümper nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses, egal was sie getan haben.«
»Ich kümmer mich drum«, sagte Darrell begeistert. »Die Post , die Times , drei bis vier Fernsehsender … Ich werd mit Patricia reden. Er hat überall Beziehungen. Er kennt die richtigen Telefonnummern. Wir kriegen das schon wieder hin, Arlo. Die werden keinen Neuen nominieren, bevor Landers weg ist, und das wird noch eine Weile dauern. Wir stehen immer noch gut da.«
Merle’s war ein langes, flaches Betongebäude, das in einem nichts sagenden Cremeton gestrichen war und versteckt hinter
einer Reihe Lagerhäuser in der Anflugschneise des Dulles International Airport lag. Draußen auf dem Schild, einem unbeleuchteten Rechteck aus Holz, stand in verblichener roter Farbe Merle’s, sonst nichts.
Jake parkte, ging mit dem Jagdgewehr zur Eingangstür und stieß sie auf. Sofort stieg ihm der nicht unangenehme Geruch von verbranntem Schießpulver in die Nase. Die Schießstände befanden sich hinter dem Gebäude, die fünf Meter davor bildeten den
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