Totenklage
tatsächlich so passiert? »Glauben Sie, dass jemand die Ordner mit den medizinischen Unterlagen entwendet hat? Haben Sie mit der Hausangestellten gesprochen?«
Madison nickte. »Ja, hab ich. Das ist die andere merkwürdige Sache. Sie hat seinen Arzt gesehen. In der Wohnung. Mit Arztkoffer.«
»Welchen Arzt?«
»James Rosenquist. Er ist ein alter Freund von Linc. Einer seiner speziellen Freunde, oder war es zumindest mal. Ich hab ihn angerufen, und er hat gesagt, er hätte Linc seit einem halben Jahr nicht gesehen, seit der letzten Untersuchung. Doch James hat eine weiße Strähne im Haar – er ist ein bisschen eitel deswegen -, und die Hausangestellte hat gesagt, der Mann, den sie in der Wohnung gesehen hat, der Arzt, hätte einen weißen Streifen auf dem Kopf gehabt, wie ein Skunk.«
»Oh Mann.« Jake lehnte sich zurück, rieb sich das Gesicht und gähnte. Schüttelte den Kopf. »Ich weiß immer noch nicht, was das zu bedeuten hat«, gab er zu.
»Ich auch nicht. Es ist nur so, dass es auch in New York
ein Geheimnis zu geben scheint, und es sollte nicht zwei Geheimnisse gleichzeitig geben. Zumindest nicht ohne jeden Zusammenhang«, sagte Madison. »Ich hab schon daran gedacht, James Johnnie Black auf den Hals zu hetzen, aber da James abstreitet, Linc auch nur gesehen zu haben …«
»Rosenquist ist in New York City?«
»Ja. Er hat eine dieser Praxen im Erdgeschoss eines Hauses mit Eigentumswohnungen auf der Upper East Side.«
»Also ein reicher Mann«, sagte Jake. »Der wird einen guten Anwalt haben.«
»Selbstverständlich.«
Jake seufzte, trank den Wein aus, beugte sich vor, um seinen Aktenkoffer aufzuheben, und verzog vor Schmerz das Gesicht. »Mrs. Bowe. Ich kann mich umhören, aber um ganz ehrlich zu sein, ich weiß nicht, ob ich etwas erreichen werde.«
»Wenn nun James, wenn nun Rosenquist irgendwie mit Goodman unter einer Decke steckt? Ich meine …« Sie wurde sichtlich nervös.
»Gibt es einen Grund zu dieser Annahme? Dass da eine Verbindung besteht?«
»Nein, aber es kommt mir merkwürdig vor. Linc hat nichts vor mir verborgen. Wir hatten zwar keine sexuelle Beziehung mehr, aber wir waren immer noch verheiratet. Und wir mochten uns immer noch sehr. Ich wusste nichts von einer Krankheit. Ich … ich meine, wenn nun Rosenquist ihn irgendwie betäubt hat? Ihn ausgeliefert hat?« Ihre Stimme war leiser geworden, und sie runzelte die Stirn. »Sehe ich Gespenster?«
»Überhaupt nicht«, erwiderte Jake. »Nichts von dem, was Sie gesagt haben, klingt verrückt. Ich weiß nur nicht, was man damit anfangen soll. Oder wo es hinführt.«
Sie kaute einen Moment auf ihrer Lippe, sah ihn an und sagte: »Sie vertrauen mir nicht.«
»Doch, das tue ich, so weit wie …« Er hielt inne.
»So weit wie was? Wie man einen Toyota schmeißen kann?«
»Nein. Ich vertraue Ihnen wirklich.« Eine weitere kleine Lüge. Oder doch nicht? Sie machte einen vertrauenswürdigen Eindruck. Andererseits war scheinbare Vertrauenswürdigkeit eine Eigenschaft, die Washingtoner ihr Leben lang perfektionierten.
Er dachte daran, sie nach dem Landers-Dossier zu fragen, entschied sich jedoch dagegen. Er musste erst noch weitere Recherchen anstellen. Falls sie es hatte oder wusste, wer es hatte, wollte er nichts tun, was unbeabsichtigt eine Kurzschlussreaktion auslöste und dazu führte, dass das Dossier bei der New York Times landete. Jedenfalls nicht, bevor Danzig darauf vorbereitet war.
Er stand auf und sagte: »Ich rufe Sie morgen an. Lassen Sie mich erst mal über alles nachdenken.«
Sie lehnte sich zum ersten Mal zurück, trank einen weiteren Schluck Wein und betrachtete ihn über den Rand ihres Glases. »Also gut«, sagte sie schließlich. »Das wird vermutlich nicht gerade dazu beitragen, dass Sie mir mehr vertrauen, aber ich muss Ihnen etwas erzählen. Ich wollte es schon tun, als wir das erste Mal über Lincs sexuelle Orientierung gesprochen haben.«
»Okay.«
»Linc hatte seine außerehelichen Beziehungen, ich aber auch. Ich hatte in den letzten neun Jahren zwei Affären. Beide dauerten etwa zwei Jahre, mit netten, diskreten Männern, dann endeten sie. Sie endeten hauptsächlich deshalb, weil sie zu nichts führten. Linc wusste über beide Bescheid, und es störte ihn nicht. Ich meine, er war schon ein bisschen wehmütig, aber er hat es verstanden.«
»Mrs. Bowe …«, sagte Jake.
»Sie sollten mich angesichts der Umstände Madison nennen.«
»Was für Umstände?«
»Der Tatsache, dass ich Sie als Beichtvater
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