Totenklage
Dutzende. Hier, bei der Frischhaltefolie und den Spültüchern, liegen locker über 100 000 Pfund in bar.
Wir verlassen so schnell wie möglich das Haus. Obwohl es sich hier streng genommen nicht um einen Tatort handelt, wird sich die Spurensicherung trotzdem gerne umsehen wollen. Der Sergeant spricht über Funk mit dem Hauptquartier. Ein DI aus Newport ist bereits auf dem Weg.
Jetzt ist meine Anwesenheit plötzlich eine viel delikatere Angelegenheit. Alle sehen mich an. Der DI aus Newport – ein Typ namens Luke Axelsen – lässt mich in sein Auto steigen und bietet mir eine Zigarette an. » Okay. Dann mal raus mit der Sprache. Was wissen Sie?«
» Nicht viel. Wirklich nicht viel.«
» Das fängt ja gut an.«
Ich erzähle ihm alles. Besonders das, was mir Bryony Williams nach Aufforderung gesagt hat.
» Das war gestern? Besonders eilig hatten Sie es ja wohl nicht, diese Spur zu verfolgen.«
» Nein, hatten wir auch nicht. Williams war nicht der Meinung, dass an diesem Gerücht viel dran war. Sie hat es nur erwähnt, weil ich danach gefragt habe. Die Spur war nicht sehr vielversprechend. Wurde sie aber, nachdem ich heute Morgen Rattigan Transport angerufen und rausgefunden habe, dass der Kerl vermisst wird. Dann schon.«
» Ja. Verstehe.«
Er beißt sich auf die Unterlippe. Er denkt nach. Er überlegt, wie er vermeiden kann, diesen Fall an Cardiff und die South Wales Police übergeben zu müssen. Er überlegt, wie er diesen Fall in Gwent und in seiner Obhut belassen kann.
» Wenn Ihnen das irgendwie weiterhilft«, sage ich, » also ich glaube nicht, dass wir genug haben, um diesen Fall mit Operation Lohan in Verbindung zu bringen. Es ist nach wie vor nur ein Gerücht.«
Das freut ihn zu hören, und schon bald bricht das Chaos aus. Axelsen stellt ein Team zusammen, das das Verschwinden von Fletcher untersuchen soll. Er hält eine kurze Einführung, danach schildere ich meine Sicht der Dinge. Ich fasse mich kurz, aber ich habe sowieso nicht viel zu erzählen. Man fragt mich, woher das Geld meiner Meinung nach stammt, und ich sage, dass ich keine Ahnung habe. Drogen. Prostitution. Drogen und Prostitution. Unterschlagung. Weiß der Geier. » Halten Sie uns über alles auf dem Laufenden. Wir werden Sie natürlich ebenfalls ständig informieren.«
Das alles nimmt über zwei Stunden in Anspruch. Ich habe schon wieder Hunger, kann aber weit und breit nichts Essbares finden. Ich schreibe Brydon eine SMS . Ich weiß nicht, was ich schreiben soll, also schreibe ich nur HOFFE , ES LÄUFT GUT . BIS BALD . FI XX . Diese X gefallen mir. Es gefällt mir, dass sie ausnahmsweise mal eine Bedeutung haben.
Dann rufe ich Jackson an, weil ich annehme, dass er gerne wüsste, was hier vor sich geht. Leider erreiche ich nur den Anrufbeantworter und hinterlasse eine ziemlich wirre Nachricht. Anrufbeantworter liegen mir nicht. Mein natürlicher Charme und meine Schlagfertigkeit prallen einfach an ihnen ab.
Nun weiß ich nicht, was ich tun soll. Ich will an den Ermittlungen im Fall Fletcher beteiligt werden, aber das habe nicht ich zu entscheiden, sondern Jackson. Außerdem sollte ich jetzt gerade zusammen mit Jane Alexander Nutten ausquetschen.
Und weil ich nicht weiß, was ich tun soll, fahre ich nach Cardiff zurück. Auf der M4 sehe ich wie immer aus dem linken Fenster, beobachte das Meer, das streckenweise auftaucht und dann wieder hinter den Bäumen und Dämmen verschwindet. Wie kann sich etwas so Großes und Gewaltiges und Tiefes so gut verstecken? Der Atlantische Ozean – der größte Friedhof der Welt.
Ich denke über Penry nach. Weniger darüber, wie es ihm gelungen ist, die Nachrichten an Fletcher abzufangen. Eher darüber, warum er überhaupt aufgekreuzt ist. Warum hat er mir geholfen? Warum hat er mir den Schlüssel gegeben? Wahrscheinlich, weil Brian Penry, der Ehrenmann, das wiedergutmachen will, was Brian Penry, der Lump, verbockt hat. Ich würde ihn so gerne nicht leiden können, doch ich bringe es einfach nicht fertig. Dazu sind wir uns zu ähnlich.
Während ich darüber nachdenke, auf der linken Spur dahinrolle und mir eine Brit-Pop-Retrospektive auf Radio Two anhöre, klingelt das Handy. Ich fummle an der Freisprechanlage herum, und als ich sie schließlich zum Laufen kriege, dröhnt Dennis Jacksons Stimme mit Wucht aus der durchaus leistungsstarken Stereoanlage des Peugeot.
» Verdammte Scheiße, Fiona, was ist da los?«
Aufgrund des Surround-Sounds kommt es mir vor, als würde mir das Universum
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