Totenklage
anderen.
Ich erkläre jeder einzelnen, wer ich bin und was ich will. Ich bin eine Freundin von Janet Mancini. Und von Stacey Edwards. Am Dienstag ist die Beerdigung. Ich wollte nur Bescheid geben und ein paar Blumen verteilen.
Dann treffe ich Kyra – die dumme Kuh, die Jane und mir bei unserem ersten Treffen nichts sagen wollte. Sie trägt Stöckelschuhe mit zwölf Zentimeter hohen Absätzen und ist seltsamerweise hocherfreut, mich zu sehen. Das lässt mich kalt, verrät mir aber, dass sie wohl erst kürzlich Heroin genommen hat.
» Blumen? Für mich?«, fragt sie.
» Für Sie. Sie können Sie auch am Dienstag bei der Beerdigung auf die Särge legen. Mir egal. Die Blumen sollen an die Frauen erinnern, die gestorben sind. Janet hatte eine kleine Tochter, und das sind auch ihre Blumen. Sie war sechs Jahre alt und hieß April.«
Kyra sieht mich an, als hätte ich den Verstand verloren, nimmt die Blumen aber trotzdem. Die anderen Mädchen reagieren ähnlich. Sie halten mich für verrückt, dennoch sage ich ihnen, dass ich mich freue, sie am Dienstag im Krematorium begrüßen zu dürfen.
Ich brauche vier Stunden, um die Sträuße zu verteilen. Irgendwann bin ich vor Müdigkeit ganz schwach auf den Beinen, als ich von hinten eine vertraute Stimme höre. Bryony Williams, komplett mit Zigarette, Leinenjacke und Wuschelhaaren. Daneben eine blumenstraußschwenkende Prostituierte, die mir vage bekannt vorkommt. Sie heißt Altea oder so.
» Ich habe läuten hören, dass irgendjemand die Dinger da verschenkt«, sagt Bryony und deutet auf die Blumen. » Da dachte ich gleich an Sie.«
Ich grinse. » Noch drei Sträuße, dann bin ich fertig für heute.«
Bryony verspricht mir, sie für mich zu verteilen. Ich erzähle ihr von den Zetteln, die ich in die Sträuße gesteckt habe, und sie nickt zustimmend.
» Wo haben Sie die Blumen her?«
Ich erzähle ihr, dass ich den Laden leer gekauft habe und dass möglichst viele Leute zur Beerdigung kommen sollen. Ich weiß nicht, warum das so wichtig für mich ist. Wahrscheinlich, weil sich zu Lebzeiten niemand so richtig um Janet, April und Stacey gekümmert hat. Dann soll wenigstens ihr Tod für Aufsehen sorgen. Ich erzähle Bryony von dem Trompeter und dem Bus voller Kinder.
Sie umarmt mich lange und fest. Als sie sich von mir löst, sind ihre Wangen feucht.
Ich beneide sie um ihre Tränen. Ich frage mich, wie es sich wohl anfühlt, wenn man weint. Ob es wehtut?
36
Samstag.
Dave Brydon ruft um elf an. Ich bin mehr oder weniger bereit. Es ist ein richtiger Sommertag. Heiß. Ich habe mich inzwischen viermal umgezogen und mich letztendlich für das in Pistaziengrün und Kaffeebraun gestreifte Top entschieden, das ich an dem Tag trug, als Penry mich geschlagen hat, dazu ein langer Rock und flache Schuhe. Ich sehe hübsch aus. Ich sehe normal aus.
Bei seinem Anruf bin ich erstaunlicherweise ziemlich aufgeregt. Er aber auch. Nach einer eher peinlichen Einleitung wird die Stimmung gelöster, als wir uns darauf einigen, dass nicht er mich oder ich ihn abhole, sondern dass wir uns am Strand treffen. Dort wird es heute zwar gesteckt voll sein, aber das macht mir nichts. Das gefällt mir sogar. Wir verabreden uns in Parkmill auf der Gower-Halbinsel. Er sagt, ich soll meinen Badeanzug nicht vergessen, und ich weise ihn auf seine käseweißen Beine hin und dass er spätestens nach zehn Minuten einen Sonnenbrand haben wird.
Wir legen auf. Ich habe gar keinen Badeanzug, ich kann noch nicht mal besonders gut schwimmen. Aber ich besitze zwei Bikinis, und nachdem ich sie beide anprobiert habe, entscheide ich mich für den mit dem etwas größeren Ausschnitt und ziehe ihn unter den anderen Klamotten an.
Dann fahre ich nach Parkmill. Der Verkehr ist unglaublich dicht. Anscheinend haben wir uns den denkbar ungünstigsten Tag für unseren Ausflug ausgesucht, doch das macht mir nichts. Ich telefoniere über die Freisprechanlage mit Brydon und erfahre, dass es bei ihm auch nicht schneller vorangeht. Wir beschließen, nicht über die Arbeit zu reden. Alle Peinlichkeit schmilzt in der Hitze dahin.
Er ist als Erster da und sagt mir, in welchem Café er sitzt. Er will, dass wir so tun, als wäre es ein Blind Date und wir hätten uns noch nie zuvor gesehen.
Sobald ich in Parkmill angekommen bin, parke ich und mache mich auf die Suche nach ihm. Ich bin so aufgeregt, dass ich fünfzig Meter vor dem Café stehen bleiben und mich sammeln muss. Das ist eine ganz normale Aufregung, ohne Depersonalisation
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