Totenklage
Antwort, hätte meine Oma gesagt.
» Keine Ahnung. Ihn suchen. Ihn verhaften. Ihn anklagen. Vielleicht werden Sie ja Zellengenossen, wer weiß?«
» Das bezweifle ich. Mein Anwalt ist ziemlich verständnisvoll. Heldenhafter Polizist in Ausübung seiner Pflicht verwundet. Traumatisches Erlebnis. Psychologisch nur schwer zu bewältigen. Der arme Kerl braucht Unterstützung, kriegt aber keine. Gerät aus der Spur. Leidet fürchterlich. Vielleicht schaffe ich es ja, im Zeugenstand in Tränen auszubrechen. Das könnte helfen.«
» Sie werden sicher eine tolle Show hinlegen.«
» Was glauben Sie? Ein Jahr? Dann wäre ich nach sechs Monaten draußen. Im schlimmsten Fall. Möglicherweise sogar offener Vollzug.«
Darauf sage ich nichts. Eine Zeit lang sitzen wir schweigend da, während der Wind durch den Park fegt, und suchen nach Antworten. Dann beendet Penry die Stille.
» Vielleicht ist er schon tot. Wie wollen Sie denn einen toten Mann verhaften?«
» Hm, weiß nicht. Wenigstens läuft er dann nicht weg.« Ich schweige wieder. Penry weiß mehr über die ganze Sache als ich, und das, was ich » weiß«, ist sowieso nur Spekulation. » Dürfte ich Ihnen ein paar Fragen stellen? Erstens, ist Fletcher wirklich so dumm, wie ich denke?«
» Oh ja.«
» Und ist er auch so gefährlich, wie ich denke? Ich meine, ganz auf sich gestellt.«
» Auf sich gestellt ist er ungefähr so gefährlich wie meine Oma. Nicht mal. Meine Oma hat größere Eier als Fletcher. Oder hatte. Egal.«
Ich nicke. Gut. Es freut mich, diese Dinge bestätigt zu bekommen.
» Wissen Sie, wo er ist?«, fragt Penry.
» Nein. Nicht genau. Irgendwo im Westen. Hinter Milford Haven. Wieso? Wissen Sie’s?«
» Nein, nicht genau, aber Sie sind nah dran. Irgendwo ganz in der Nähe der Küste. Mehr weiß ich nicht.«
» Waren Sie niemals dort?«
» Das ist nicht mein Ding, nein. Darauf kann ich verzichten.«
» Sie hatten seinen Hausschlüssel. Und seine Telefonnummer. Sie können seine E-Mails lesen.«
» Jetzt passen Sie mal auf. Er hat darauf bestanden. Ich habe das natürlich abgelehnt. Er hat mir Geld, seine Telefonnummern, die E-Mail-Passwörter und sogar den verdammten Haustürschlüssel gegeben. Er hat mir das alles richtig aufgedrängt.«
» Das Geld haben Sie behalten.«
» Für den bescheuerten Wintergarten. Das Ding gefällt mir nicht mal.«
Das Ding wurde fünfzehn Monate nach Rattigans Tod gekauft. Das Geld dafür kam also von Fletcher und nicht von Rattigan.
» Das würde vor Gericht keinen guten Eindruck machen.«
» Scheiße, Fiona. Nichts davon wird vor Gericht einen guten Eindruck machen. Aber ich habe ihnen nicht geholfen. Keinem von ihnen.«
Darüber muss ich die Stirn runzeln. Ich glaube ihm nicht.
» Okay, vergessen wir mal das Gericht. Nur unter uns.«
Ich nicke. » Okay.«
» Das war alles reiner Zufall. Ich war in Butetown. Hab gesehen, wie ein Aston Martin vorfuhr. Ich wollte wissen, welcher Idiot da wohl aussteigt. Es war Rattigan. Ich habe ihn sofort erkannt. Er hat mit ein, zwei Mädchen geredet. Dann hatte ich ziemlich schnell alles rausgefunden, und er wusste, dass ich es wusste. Vielleicht hat es ihm sogar die Mancini verraten.«
» Und da haben Sie ihn erpresst? Sie waren gar nicht sein Handlanger oder so, Sie haben ihn erpresst?« Irgendwie ist das noch schlimmer.
» Eigentlich nicht. Das ist ja das Blöde. Es war gar keine richtige Erpressung. Der reiche Sack weiß, dass ich Bescheid weiß, und fängt an, mir Geld zuzuschieben. Lädt mich zum Pferderennen ein. Und wie es der Teufel will, sind wir ganz gut miteinander ausgekommen. Der Geldsack und der korrupte Bulle.«
» Aber damals waren Sie noch nicht korrupt, oder?«
Bisher haben wir uns noch gar nicht richtig angesehen. Wir haben den Park angestarrt und die Welt dabei beobachtet, wie sie sich um die eigene Achse dreht. Aber jetzt sucht Penry meinen Blick genauso wie meine Aufmerksamkeit. Er berührt mich an der Schulter, und ich sehe ihn an. Ich betrachte seine Gesichtszüge so sorgfältig wie nie zuvor. Die Harter-Cop-Nummer ist nur die halbe Wahrheit, wenn überhaupt. Zum Großteil scheint Penry ein ernster, nachdenklicher Mann zu sein.
» Stimmt. Ich war ein guter Cop. Wenn ich sage, dass ich im Zeugenstand glatt anfangen könnte zu flennen, ist das nicht unbedingt gelogen. Ich war tatsächlich der Meinung, dass mich die Polizei im Stich gelassen hat. In einem Moment war ich der Größte, die Numero uno, mit einem Orden von Ihrer Majestät
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