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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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persönlich und Empfehlungsschreiben vom Innenministerium, und im nächsten gibt’s nur noch eine monatliche Rente und eine Einladung zum jährlichen Polizeiball. Das hat mich eine Zeit lang ganz schön aus dem Ruder geworfen. Rattigan kam mir da wie ein Ausweg vor.«
    » Ein Ausweg …«, fange ich an, doch Penry unterbricht mich.
    » Ich weiß. Und dabei sind Menschen gestorben. Glauben Sie nicht, dass mir das nicht bewusst wäre. Deshalb habe ich die Schulgelder veruntreut. Ein Hilfeschrei. Ziemlich armselig, oder? Jetzt gehöre ich selbst zu der Sorte, die ich früher so gehasst habe.«
    Darauf antworte ich nicht. Ich will auch nicht mehr darüber wissen. Penrys Seelenheil ist nicht mein Problem.
    Der Wind, der vom Meer kommt, nimmt im Süden Fahrt auf, bis er die Stadt erreicht. Dort bläst er verwirrt in jeden Winkel, lässt das Laub tanzen, trägt Picknickdecken mit sich und hebt Röcke. Ein teuflischer, ruheloser Wind.
    » Und dann ist Rattigan gestorben.«
    » Ja. Das ist das Ende vom Lied, dachte ich. Und so war es auch. Fletcher war ein fast genauso großes Arschloch, aber es machte einfach keinen Spaß, mit ihm abzuhängen.«
    » Aber?«
    » Nichts aber. Er wollte, dass ich bei ihm mitmache. Er hat gedacht, dass ich mit Freuden Ja sage. Hab ich aber nicht. Ich war nur einmal bei ihm – um ihm zu sagen, was er für ein Volltrottel ist.«
    » Haben Sie ihn geschlagen?«
    » Nein. Hätte ich aber gerne getan.«
    » Ja. Ich auch.«
    Ich will noch weitere Fragen stellen, doch dann berührt Penry meinen Arm und deutet auf etwas.
    » Sehen Sie den Mann da?«
    Ein Mann im Anzug. Jenseits der vierzig. Ziemlich selbstzufrieden.
    Ich nehme den Mann zur Kenntnis, dann sehe ich wieder Penry an.
    » Ivor Harris«, sagt er. » Piers Ivor Harris, MP . Sitzt für North Glamorgan im Parlament. Ein Konservativer.«
    Ich zucke mit den Schultern. » Nun ja, die Konservative Partei ist nicht verboten. Nicht mal in Wales.«
    » Ein guter Kumpel von Brendan Rattigan. Sie haben zusammen gekokst. Er wusste auch Bescheid. Vielleicht nicht über alles, aber doch genug.«
    » Woher wollen Sie das wissen?«
    Einen Augenblick lang frage ich mich, woher Penry wusste, dass Harris gerade jetzt vorbeikommen würde. Dann kapiere ich, dass er es gar nicht wissen konnte. Das Parlament ist gleich hinter uns. Dieser Teil des Parks gehört den Mächtigen. Man kann hier womöglich keine zwei Stunden sitzen, ohne jemandem über den Weg zu laufen, der mit Brendan Rattigan zu tun hatte.
    » Ich weiß es eben. Rattigan wurde nur high, wenn er damit angeben konnte. Der verdammte Ivor Harris ist im Parlament. Und der verdammte Brian Penry ist nur ein Krimineller.«
    » Was ja aufs Gleiche hinausläuft.«
    Er lacht. » Ja, wahrscheinlich.« Dann wechselt er das Thema. » Wissen Sie, wie viel Einkommenssteuer Rattigan als Privatperson abgeführt hat?«
    » Weiß ich nicht, aber Sie werden’s mir gleich sagen.«
    » Neunzehn Prozent auf Inlandsgeschäfte. Sonst gar nichts. Und die meisten Geschäfte hat er im Ausland getätigt. Bestimmt waren es insgesamt nicht mal zehn Prozent. Weil er Geld und schlaue Anwälte hatte. Brendan Rattigan – der Kumpel von Ivor Harris.«
    » Ja. Aber da haben wir es doch besser, oder nicht? Eine geregelte Arbeit, einen gerechten Lohn, eine ganz normale Besteuerung.«
    Penry lacht. » Ganz normale Verbrechen, ganz normale Haftstrafen.«
    » Ja, die auch. Die auch.«
    Er hat seinen Kaffee ausgetrunken und drückt den Becher zusammen. Wenn er noch mehr Kaffee will, kann er meinen haben. Will er aber nicht.
    » Schon komisch – das Gefängnis macht mir Angst. Hätte ich nicht gedacht.«
    » Das werden Sie schon überstehen.«
    » Ich weiß.«
    » Ich kann Sie ja mal besuchen kommen, wenn Sie möchten.«
    » Wirklich? Das würden Sie tun?«
    Ich nicke. » Wenn Sie wollen.«
    » Ja. Ja, das will ich.«
    Je länger ich Penry kenne, umso besser kann ich ihn leiden – egal, was er getan oder nicht getan hat. Wir sitzen auf der Bank und starren in den Park. Harris ist verschwunden, und auch sonst sind nirgendwo verachtungswürdige Parlamentsangehörige zu sehen.
    » Hier. Ich hab Ihnen was mitgebracht.«
    Ich gebe ihm das Buch, das ich vorhin aus der Schublade genommen habe. Mein allererstes Notenheft der klassischen Klavierstücke.
    » Ich wusste nicht, ob Sie eher auf Klassik oder auf Popmusik stehen.«
    Er ist gerührt. Regelrecht ergriffen. Ich hatte das Heft einfach so gekauft und wollte es ihm eigentlich zuschicken, war

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