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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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eine Ein-Frau-Arbeitsmaschine. Wenn du glaubst, dass du das alles schaffst, prima. Und wenn nicht – na ja, es wäre auch in Ordnung, einfach nur hinzugehen und mit ihr zu reden.«
    Sie ist freundlich. Das bin ich nicht gewohnt. » Normalerweise bin ich nicht so«, platze ich heraus. » Aber dieser Fall hat irgendwas …«
    » Ist das dein erster Kindsmord?«
    » Ja, schon. Aber daran liegt’s nicht, glaube ich. Oder vielleicht doch.«
    » Ja, ganz bestimmt.« Jane lächelt mich aufmunternd an. Sie ist immer noch blond und gut frisiert und perfekt, aber ich glaube, gerade habe ich einen Blick auf den Menschen Jane Alexander werfen dürfen. » Warum gehst du’s nicht etwas ruhiger an? Jim und ich hätten jetzt einfach nur mit Edwards geredet. Improvisiert. So wie jeder andere auch.«
    » Macht es dir was aus, wenn ich trotzdem Nachforschungen anstelle? Das wäre mir lieber, ehrlich.«
    » Okay. Aber sei vorsichtig, Fi. Wenn du dich zu sehr mit dem Fall identifizierst, nimmt das ein böses Ende. Das ist immer so.«
    Ich will schon fragen, ob sie das aus persönlicher Erfahrung weiß, doch dazu fehlt mir der Mut. Ich nicke nur.
    » Jawohl, Sarge.«
    » Okay, Fiona. Dann los.«
    Als ich an meinen Schreibtisch zurückkehre, wartet eine Nachricht von Robin Keighley auf der Mailbox auf mich. Ein Nachtrag zu unserem Gespräch von vorhin. Auf den zweiten Blick ist ihm doch etwas Ungewöhnliches an dem Unfall aufgefallen: die beiden Flüche des Piloten, gefolgt von Stille. » Selbst in einer Extremsituation ist das höchst ungewöhnlich. Man würde ständigen Funkkontakt erwarten, selbst wenn der Pilot nicht genau weiß, was vor sich geht. Daraus würde ich allerdings keine große Sache machen, dafür gibt es Dutzende von Erklärungen. Aber Sie haben gefragt, ob mir etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist, und in diesem Punkt müsste ich die Frage bejahen. Wenn es auch nichts Bedeutendes ist.«
    Ich höre mir die Nachricht dreimal hintereinander an, dann gehe ich auf die Website der Financial Times und suche nach der Rattigan Industrial & Transport Ltd. Man kann sich ja nie genug informieren. Und damit verbringe ich die nächste Dreiviertelstunde.

15
    Bryony Williams trägt eine gefütterte Leinenjacke über einem Sweatshirt, dazu Jeans. Sie hat kurzes, leicht gelocktes Haar. Sie ist eine harte Nuss – im positiven Sinne, denn sie hat nicht nur eine harte Schale, sondern auch einen weichen Kern. Sie sitzt auf einer niedrigen Mauer, die den Vorgarten eines leer stehenden Hauses umgibt, und dreht sich eine Zigarette.
    » Wollen Sie?« Sie bietet mir die Selbstgedrehte an.
    » Danke. Ich rauche nicht.«
    Ich setze mich neben sie auf die Mauer.
    » Ist viel los heute Abend?«
    » Noch nicht.«
    Sie zündet die Zigarette an und wirft das Streichholz auf die Straße. Es ist neun Uhr abends, und das Taff Embankment liegt im Zwielicht. Der orangefarbene Schein der Natriumdampflampen ist stärker als die letzten bernsteinfarbenen Strahlen des Sonnenuntergangs über der Irischen See, die irgendwo hinter uns liegt. Hier grenzt Blaenclydach Place an den Fluss. Hinter uns stehen Reihenhäuser aus der Edwardischen Epoche, vor uns ist ein kleiner Grünstreifen, dann der Fluss. Die Rasenfläche wurde erst kürzlich gemäht, und es riecht nach Gras und Flussschlamm.
    Eine schöne Szenerie. Still. Angenehm – wären wir nicht im Herzen von Cardiffs Rotlichtviertel, wo jetzt gleichzeitig mit den Sternen am Himmel die ersten Prostituierten auftauchen. Eine – Lederjacke, Nasenpiercing, Minirock, zehn Zentimeter hohe Absätze – stöckelt auf der Rasenfläche gegenüber auf und ab. Erst als sie zum dritten Mal vorbeikommt, kapiere ich, dass sie eine Prostituierte ist. Ein paar Männer kommen aus dem Red Lion Pub, gehen an der Frau vorbei, drehen sich um und pfeifen ihr nach.
    Sie zeigt ihnen den Finger, und sie gehen weiter.
    » Sie wissen, warum ich hier bin, oder?«
    » Ja. Gill hat mich vorgewarnt.«
    Gill Parker ist die Projektleiterin von StreetSafe. Sie schmeißt seit 2004 den Laden: eine Heilige, eine Heldin, ein Engel oder eine Wahnsinnige. Je nachdem, wie man es sehen will. Und Bryony ist aus demselben Holz geschnitzt.
    » Stacey Edwards. Gill hat gesagt, dass Sie sie kennen.«
    » Genau. Sogar sehr gut. Leider.«
    » Wissen Sie, warum wir mit ihr sprechen wollen?«
    » Eigentlich nicht.«
    In Williams’ Stimme liegt keine Feindseligkeit, freundschaftlich ist ihr Ton allerdings auch nicht gerade. StreetSafe ist eine

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