Totenklage
hellgrünes Leinenkostüm über einem cremefarbenen Pullover mit rundem Ausschnitt. Ihre Schuhe passen zu ihrem Kostüm. Hier läuft niemand so rum, noch nicht mal die Sozialarbeiter.
Edwards wohnt in einer der Mietskasernen im ersten Stock. Ihre Klingel funktioniert nicht. Ich drücke ein paar Mal auf den Knopf. Die Wohnung ist so klein und die Wände so dünn, dass wir die Klingel auf jeden Fall hören würden, wenn sie nicht kaputt wäre.
Irgendjemand kommt mit klappernden Schritten die Treppe im Haus herunter und lässt uns in den Eingangsbereich. Stacey Edwards’ Tür ist aus dünnem poliertem Sperrholz. Ich klopfe. Dann klopft Jane.
Nichts.
Ich habe Gill Parker von StreetSafe überreden können, mir Edwards’ Handynummer zu geben. Ich rufe sie an. In der Wohnung klingelt ein Telefon, aber niemand geht ran. Jane und ich werfen uns einen Blick zu. Vor dem Mietshaus ist ein Parkplatz mit sechs Stellplätzen. Nur zwei sind belegt – von einem silbernen Š koda und einem dunkelblauen Fiat.
Ich rufe Bryony Williams an und frage sie, ob Edwards ein Auto hat und wenn ja, welches Fabrikat es ist. Sie glaubt, dass sie einen dunkelblauen Fiat fährt. Ich bedanke mich, lege auf und gebe die Information an Jane weiter.
» Vielleicht schaut sie nur mal kurz bei einer Freundin vorbei«, sagt sie.
Vielleicht. Allerdings sieht die Gegend hier nicht so aus, als würde man kurz mal bei irgendjemandem vorbeischauen. Außerdem bezweifle ich, dass Stacey Edwards dasselbe Mal-kurz-vorbeischauen-Leben führt wie Jane Alexander. Weiter die Straße runter führt ein Feldweg, der durch einen mit Stacheldraht gekrönten Zaun begrenzt ist, ins Brachland hinter den Häusern. So eine Gegend ist das.
» Wir warten eine halbe Stunde und versuchen es dann noch mal?« Ich lasse es wie eine Frage klingen.
Jane nickt, und wir gehen zum Auto zurück. Also, genau genommen zu Janes Auto. Ich hätte ja etwas weiter entfernt geparkt, damit es nicht so aussieht, als würden wir das Haus beobachten, aber ich will Jane nicht vorschreiben, was sie zu tun hat. Fürs Erste verhalte ich mich wie die Polizeibeamtin, die Jackson gerne hätte.
Wir verbringen den größten Teil der halben Stunde mit Schweigen. Jane hat ein paar Haare auf der Jackettschulter. Geistesabwesend zupfe ich sie ab und streiche den Stoff glatt. Sie wendet sich mir zu und lächelt. Ich frage mich, wie es wäre, sie zu küssen. Bestimmt ganz nett. Als ich damals etwas orientierungslos durch Cambridge stolperte, war ich mir auch über meine Sexualität nicht so recht im Klaren und durchlebte eine kurze lesbische Phase. Ein Experiment. Frauen zu küssen ist toll, aber das war’s dann auch. Lesbischer Sex gibt mir nicht viel. Ich vermisse ihn nicht.
Das erzähle ich Jane Alexander mal lieber nicht. Wahrscheinlich wäre das unserer beginnenden Freundschaft nicht gerade zuträglich.
Nach sechsundzwanzig Minuten halten wir es nicht mehr aus, und ich rufe noch mal Edwards’ Handy an. Immer noch keine Antwort. Vor dem Haus ist in der Zwischenzeit nichts passiert. Wir klopfen wieder. Keine Antwort.
Zeit, eine Entscheidung zu treffen.
Wir gehen um die Wohnung herum und versuchen hineinzuspähen. Leider hängen schwere Tüllgardinen vor den schmutzigen Fenstern, sodass so gut wie nichts zu erkennen ist. Auf der Rückseite können wir zumindest in die kleine Küche sehen. Sie ist zwar sauberer als die von Penry, würde aber auch keine Preise gewinnen. Sonst nichts. Ein kleines Fenster mit Milchglasscheibe – wahrscheinlich das zur Toilette – ist zum Lüften gekippt. Das Fenster befindet sich auf Kopfhöhe, der Spalt ist gerade mal zwanzig Zentimeter breit.
Für einen normalen Erwachsenen viel zu schmal, um sich hindurchzuzwängen. Jane scheint allerdings dasselbe zu denken wie ich. Sie mustert erst mich, dann den Fensterspalt.
Eine fremde Wohnung ohne Erlaubnis oder Durchsuchungsbefehl zu betreten ist ein schweres Vergehen. Es gibt Gesetze dagegen, und das ist auch gut so, manchmal können sie einem jedoch richtig auf die Nerven gehen. Sie machen uns das Leben schwer, aber genau deshalb hat man sie ja auch erlassen. Wie auch immer – wir dürfen eine Wohnung nur betreten, wenn wir jemanden verhaften wollen oder Grund zur Annahme haben, dass wir nur auf diese Weise ein Leben retten oder ernsthaften Personen- oder Sachschaden verhindern können.
» Ich rufe bei StreetSafe an«, sage ich.
Ich muss Bryony Williams irgendwie dazu kriegen, mir zu sagen, dass sie sich Sorgen um
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