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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Bingham
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gehören zusammen. Dieses Gefühl habe ich nicht oft, und es ist das Wertvollste, das es gibt.
    Irgendwann geht aber auch dieser Abend zu Ende. Ant muss ins Bett, Kay geht auf ihr Zimmer, und Mam verzieht sich auf die Couch, um vor dem Schlafengehen noch ein bisschen fernzusehen.
    » Sollen wir nach hinten gehen?«
    » Nach hinten« bedeutet: in Dads Reich, das sich nicht im Haus befindet, sondern in einem kleinen Atelier über dem Swimmingpool im Garten. Der überdachte Swimmingpool war einst Dads liebstes grand projet, das er aber auf Mams Anraten hin aufgab, weil nach einem Jahr immer noch niemand Lust zum Schwimmen hatte.
    » Nach hinten« bedeutet auch: in Dads Welt. Jenseits von Mams überreich dekoriertem, penibel gestaubsaugtem und mit Präzision eingerichtetem Utopia. Dads Welt, wo große Plasmafernseher, schwere Ledermöbel und Fotos von seinen Clubs zu Hause sind. Die Fotos zeigen nicht nur die prächtigen Tresen und die pompöse, teure Innenausstattung, sondern auch die Mädchen: an der Stange tanzende, Drinks servierende Mädchen mit oder ohne Minirock, die die Freier in Scharen anziehen. Mädchen, die in Kays oder meinem Alter sind, obwohl Dad wohl nicht besonders oft über diese Tatsache nachdenken wird oder sie irgendwo in einer dunklen Ecke seines Bewusstseins verstaut hat, wo sie nicht viel Schaden anrichten kann. Was meinen Dad angeht, haben diese Fotos nichts Pornografisches. Sie haben mit Lust und Leidenschaft so wenig zu tun wie der andere Krempel in seinem Reich.
    Der Krempel. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen sollte, da sich diese Sammlung ständig ändert. Jetzt gerade kann Dad die Freude über seine neueste Anschaffung nicht verbergen. Er zeigt mir einen großen Gegenstand in einer grünen Filztasche, die auf dem Snookertisch steht.
    » Schatz, was glaubst du, was da drin ist? Das errätst du nie. Es ist einfach unglaublich. Rate mal. Ach was, das errätst du ja sowieso nicht. Also gut. Ich zeig’s dir.«
    Er öffnet die Tasche. Darin befindet sich ein riesiger Silberpokal. Nicht ganz so groß wie der Heineken-Cup, der bei der Rugby-Europameisterschaft verliehen wird, aber fast. Dad hat » Für Kathleen Griffiths, die beste Mutter der Welt« eingravieren lassen und wartet nun, dass das passende Regal geliefert wird. Er hat vor, das Regal über der Küchentür anzubringen und den Pokal eines Tages als Überraschung dort aufzustellen. Es soll kein Geburtstagsgeschenk sein oder so. Einfach aus heiterem Himmel. Mam wird die Idee gefallen, das Geschenk selbst eher weniger. Es wird ein paar Monate herumstehen, bis Dad es völlig vergessen hat. Dann wird Mam irgendwas daran auszusetzen haben. Oder sie ersteht einen bezaubernden kleinen viktorianischen Jagddruck und wird sich laut fragen, wo man den wohl am besten aufhängen könnte: » Vielleicht über die Küchentür. Ach nein, ich Dummerchen, da steht ja mein schöner Pokal, und der soll doch bleiben, oder?« Irgendwas wird ihr schon einfallen. Und früher oder später wandert der Pokal wieder in Dads Reich, Mam besitzt einen weiteren bezaubernden viktorianischen Jagddruck, und Dad hat seine Aufmerksamkeit ganz anderen Dingen gewidmet.
    » Nach hinten« bezeichnet auch den Platz, an dem Dad mal Dampf ablassen kann. Wo seine gewaltige, dröhnende Energie zur Ruhe kommt. Auf seinem langen Weg vom einfachen Nichtsnutz aus Cardiff zum erfolgreichen Geschäftsmann hat dieser Atelierraum über dem Swimmingpool eine fast so große Rolle gespielt wie Mam, die ihn mit Engelsgeduld davor bewahrt hat, auf die schiefe Bahn zu geraten.
    Eine halbe Stunde lang ist mein Dad einfach nur mein Dad. Er ist kein großer Trinker, doch er hat eine Schwäche für schwere Karaffen aus geschliffenem Bleikristall und besteht darauf, mir einen Whisky einzuschenken, obwohl er weiß, dass ich ihn nicht trinken werde. Er schenkt sich selbst auch einen ein, an dem er einmal nippt und den er dann vergisst. Als er gerade wegsieht, schlucke ich zwei weitere Aspirin. Ich zerbeiße sie und würge sie ohne Wasser hinunter. Ich habe immer noch Kopfschmerzen, und mein Gesicht tut weh, aber es wird besser.
    Langsam beruhigt sich mein Dad etwas. Er redet über seine Nachtclubs. Zwei in Cardiff. Einer in Swansea. Er plant, einen richtig großen in Bristol zu eröffnen. Seinen größten bisher, obwohl die Finanzkrise die Sache etwas verzögert. Seltsamerweise ist er ein richtig guter Geschäftsmann. Sowohl vorsichtig als auch mutig. Er plant alles minutiös und führt diesen Plan dann

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