Totenklang
schweren Zeit nicht bei ihr gewesen ist«, seufzt Felicitas. Ein anderer habe diese Rolle übernommen, Bäckermeister Fischbach. Den habe Lilli dann geheiratet und wenn sie nicht alles täusche, müsste sie noch immer über der Backstube in Gosenbach leben.
»Sollen wir hinfahren?«, fragt Felicitas.
»Wozu? Vielleicht hat sie mit der alten Zeit abgeschlossen?«, antworte ich, der ich mich scheue, schlechte Nachrichten zu überbringen und mich natürlich frage, ob uns eine längst vergangene Liebesgeschichte bei der Lösung des Problems, wer Richy auf dem Gewissen hat, weiterhilft. Die sicherlich schon über siebzigjährige Frau wird ihn nicht aufgeknüpft haben.
»Ich habe das Gefühl, dass ich es Richy schulde«, kommt die Antwort, »außerdem liegt es in der gleichen Richtung, ist nur ein Stückchen weiter. Ich wohne auf dem Fischbacherberg und würde mich freuen …«
»Überredet, aber nur wenn wir die Siezerei lassen«, beschließe ich das weitere Vorgehen.
»Gut, Heiner, dann kann ich dir unterwegs erzählen, was ich bei der Polizei herausgefunden habe.« Während ich mich in den feierabendlichen Verkehr einwebe, berichtet Felicitas mir, dass keiner Anspruch auf den Leichnam Reginalds gestellt habe und sie benachrichtigt werde, sofern sich nicht Anverwandte fänden, die für die Bestattung aufkommen würden. Da Richy ihres Wissens keine lebenden Blutsverwandten habe, würde sich sicher niemand dafür interessieren. Ich frage mich, warum sie die Kosten für eine Beerdigung tragen will und ob sie es kann. Brandt würde ihr sicher ein günstiges Angebot machen, davon gehe sie jetzt aus, denn sonst könne sie sich das nicht leisten. In den Särgen läge nicht nur ein glänzender Stoff, sondern auch eine große Gewinnspanne. Eine anonyme Urnenbeisetzung oder vielleicht eine Ruhestätte am Fuße eines Baumes im Friedensforst, das würde sie später entscheiden. Die Aussicht darauf, ihrem alten Freund einen letzten Gefallen tun zu können, scheint eine befriedende Wirkung auf Felicitas zu haben. Ihr Nervenkostüm ist halbwegs wiederhergestellt. Sie spricht in einem ruhigen Ton, auch als sie fortfährt zu berichten, was sie auf dem Flur der Polizei erfahren hat.
Als sie darauf gewartet habe, Helfried Brandts Bitte nachzukommen, habe sie einen Cousin zweiten Grades getroffen. Der wiederum habe in die Familie des Otto Jung eingeheiratet. Gleichzeitig sei er als Sozialarbeiter der Stadt als Vormund des Fräulein Hedwig bestellt. Nebenbei, ihr Zustand habe sich stabilisiert, doch bestünde die Dame darauf, Anzeige gegen unbekannt zu erstatten, da ihr Otto gestohlen worden sei. An der Stelle interessiert mich, was sie mit den Jungs zu tun hat, da mir die weiße Nelke einfällt, die später an seinem Grab gelegen hat und der Sorte glich, die im Sternenstaubfenster liegen. Reiner Zufall, wie sie sagt. Sie habe sich aus keinem bestimmten Grund an dem Grab aufgehalten an jenem Morgen.
»Fräulein Hedwig war die Schwägerin des Paul Otto Jung. Der soll ein Glückspilz gewesen sein, sagen die Leute, weil sie dachten, der Otto habe zwei Frauen mit einer Heirat bekommen. Die Verwandten, die die Familie näher kannten, kamen zu einem anderen Ergebnis. Ein Pechvogel sei er gewesen, mit seinem Sinn für das Besondere. Eine Bäuerin vom Dorf wäre ihm nicht untergekommen. Es musste schon diese Eine sein, auch wenn er ihre Schwester dafür mit in Kauf nehmen musste. Schöne Frauen, aber anstrengend. Hedwigs Schwester, eine verschwenderische Lebedame, das Fräulein, so mein Cousin, asketisch und stockfromm«, erzählt sie mir, während wir den Heidenberg hinauffahren.
32
Als wir vor der vermuteten Adresse der Lilli Fischbach ankommen, sehen wir im ersten Stock des Hauses eine alte Dame hinter dem Fenster sitzen. Beinahe regungslos, nicht mal die Gardine rührt sich. Die Szene ist mehr ein Bild und wirkt wie eines der Frauen-Porträts, wie sie Renoir gesehen und festgehalten hat.
»Das muss sie sein«, sagt Felicitas und dass ich jetzt fahren könne, sie ließe sich später abholen oder nähme den Bus, es sei ja nicht meine Geschichte. Hier widerspreche ich. Schließlich würde ich des Mordes verdächtigt und die Angelegenheit ginge mich sehr wohl etwas an. Sie mag sich auf keine Diskussion einlassen, knallt die Wagentür zu, überquert mit zwei ausladenden Schritten den Gehsteig und betätigt einen Klingelknopf. Ich kontrolliere die Unversehrtheit meines Wagens. Glücklicherweise steht er etwas schräg hangabwärts und die
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