Totenklang
knurrenden Magen zu ignorieren, um die hauchzarten Wellen aus dem Kosmos zu empfangen, die ihr flüsterten: alles ist gut und schwingt mit dir in der endlosen Harmonie des Werdens und Vergehens. Mir verging dann der Appetit und ich trank mir ein Fläschchen Bier, nickte dem Moderator der Sportschau zu wie einem alten Kumpel und erwischte mich tatsächlich ein einziges Mal dabei, wie ich mit dem Publikum gemeinsam klatschte, um lediglich einen Dressurreiter zu begrüßen, dessen Namen ich nicht mal kannte. Oh, Mann, alte Wunden. Fast wie aus Gewohnheit schalte ich den CD-Player an. Aber die Jungs von Iron Maiden spielen an meiner Stimmung vorbei. Radio. Bin gespannt, ob ich hier einen hörenswerten Sender reinkriege. Ich habe so ein schlechtes Empfangsteil. Es sucht und stoppt auf einem Kanal, dem ich normalerweise nie Gehör schenken würde, doch die warme weibliche Stimme lässt mich in der Bewegung, auf Weitersuchen zu drücken, innehalten. Es will beinahe so etwas wie Clubatmosphäre in meinem kleinen Wagen aufkommen. ›I’m so lonesome I could cry‹, singt sie und dem Kerl, der ihr das Gefühl eingebracht hat, möchte man eine verpassen. ›I’m so lonesome‹, trifft auch irgendwie auf mich zu. Jetzt werd nicht melancholisch, fordert der Advokat kühl, wobei er sein Jackett zuknöpft, mit einer undifferenzierten Bewegung einen nicht vorhandenen Fussel vom Revers entfernt und sich gerade aufrichtet. So alleine, wie der Typ neulich an der Tanke, der sich zu Ferienbeginn immer in die Staus stellt, um wenigstens ein Mal einer Gruppe anzugehören, so schlimm ist es mit mir noch lange nicht. Ja, ja, überleg lieber, wie es um die Leute um dich herum bestellt ist, rüffelt der Anwalt. ›As I wonder where you are, I’m so lonesome I could cry.‹ Als nächstes ’ne Jazz-Nummer, auch nicht schlecht. Jetzt ist es soweit, Altrocker Heiner ist reif für Jazz. Und aus.
Vielleicht sollte ich doch noch ein bisschen Harp üben, denke ich mir und verwerfe es sogleich.
Protokoll der Ungereimtheiten, diktiert der Advokat in meine innere Kladde. Wer ist die Frau auf dem Foto? (Was willst du mit den Zähnen in der Tasche?) Welchen besonderen Sozialisationsprozessen muss man ausgesetzt gewesen sein oder muss man einen an der Waffel haben, um im Bestattergewerbe zu arbeiten? Ist Felicitas Engel verheiratet? Letzte Frage streichen. Irrelevant. Wer hat ein Interesse, den Alten zu ermorden? Und warum? Wer ist dieser Abi und was hat er mit Hanf zu tun? Denk ich an Hanf, denk ich an den Schädel. Wer tötete die Waldbewohner? Unterstreichung der Kernfragen/Schlüsselwörter. Immer wieder Knochen!
31
Ich fische das Foto der Frau aus meiner Tasche. Hat sie nun etwas mit der Orthelly-Truppe zu tun oder nicht? Ihr Gesicht ist in der Lage, alles und nichts zu erzählen und zu versprechen. Ebenmäßige Züge, ein Mund zum Küssen, die Augen schauen durch einen hindurch. Sie lächelt, aber nur andeutungsweise.
Der Wagen wackelt und mit einem Schwung sitzt Felicitas Engel wieder neben mir.
»Das ist Lilli. Woher haben Sie das Foto?«
Ich erkläre ihr, dass ich es gefunden habe und es Richys Brieftasche entstammt. Sie greift nach dem Bild und betrachtet es eingehend.
»Lilli Fischbach.«
»Also nicht die Artistin«, murmle ich eine erste Antwort in den Fragenkatalog von eben.
»Was wissen Sie über die Artistin?«, will Felicitas Engel wissen, und ich erzähle ihr, was ich in Betzdorf über die Orthelly-Truppe herausgefunden habe und erwähne, dass eine Lola dieser Frau hier ähnlich sehe.
»Schwestern. Lilli ist aus der ersten Ehe und Lola entstammt einer Beziehung zu einer Schlangenfrau aus der Mongolei. Richy war sehr verliebt in Lilli und sie auch in ihn, aber ihrer beider Leben hatte kaum Parallelen. Die Liebe blieb unausgelebt.« ›I’m so lonesome I could cry.‹
Richy war Engels Bericht zufolge hin und wieder in der gleichen Show wie die Orthellys. Kennen gelernt hatten sie sich in Siegen. Als die Orthellys nach Amerika gingen, hätten sich ihre Wege erstmals getrennt. Sogar in Las Vegas sei die Truppe aufgetreten. Bei einem dieser Engagements in einem Nachtclub sei Lilli vom Trapez gestürzt und habe sich schwere Rückenverletzungen zugezogen. Dann habe Lola ihren Part übernommen, nur auf dem Trapez, nicht in Richys Herz. Lilli sei gebrochen nach Deutschland zurückgekehrt. Zu dem Zeitpunkt wäre Richy in Ungarn gewesen und habe dort gearbeitet.
»Er hat sich nie verziehen, dass er in dieser für Lilli
Weitere Kostenlose Bücher