Totenklang
angenommen, wie in dem Moment, als sie auf dem Sarg niedersank. Ob ich das Radio einschalten sollte? In seltenen Momenten ist Stille schwer auszuhalten.
»Hast du überhaupt noch Zeit?«, fragt sie in meine Überlegung hinein.
»Ja, klar. Wo genau musst du denn hin? Fischbacherberg ist groß.«
»Du kannst beim Seniorenzentrum hochfahren, den Rest gehe ich zu Fuß.« Ich bestehe darauf, sie bis zur Tür zu bringen.
»Alte Schule?«, fragt sie mit dem Anflug eines Lächelns.
Außer knappen Anweisungen, wann ich wo abbiegen muss, kommen keine weiteren Worte aus ihrem Mund. Im hintersten Winkel, am Waldesrand, ist ein Wendehammer. Hier könne ich sie rauslassen. Sie wohne in dem letzten Haus in der Straße. Morgens kämen die Rehe in den Garten und knabberten die frischen Knospen ihrer im vorigen Jahr gesetzten Obstbäume an. Ob ich noch mit reinkommen möge, sie schulde mir einen Kaffee für die Fahrerei. Na, wenn das kein Angebot ist. Mein Herzschlag legt einen Takt zu, meine Hand greift schon Richtung Zündschlüssel. Da kommt ein Mann mit einem Wolfshund aus dem Wald. Er sieht aus wie Aragorn. Schwarze Lederklamotten, lässiger Parka, langes, lockiges Haar, einen Anflug von Dreitagebart. Wiegender, selbstbewusster Gang. Er hat sicher gerade das Rennen in einem Casting für eine ›Herr der Ringe‹-Verfilmung gemacht. Bei dem Thema muss ich an meine letzte Begegnung zwischen Mittelalter und Mittelerde denken.
»Oh, Franky ist schon zu Hause«, sagt Felicitas in einer Stimmlage, die ich bisher nicht aus ihrem Munde vernommen habe, »mein Freund«, ergänzt sie unnötigerweise, wobei ihrer ersten Begeisterung nun ein Hauch der Schwermut beigemischt ist, die uns bis gerade eben in meinem Auto gefangen gehalten hat.
»Also, was ist, Kaffee?« Meine Hand bleibt in der Schwebe, sucht sich einen Ausweg, der darin liegt, den ersten Gang einzulegen. Frauen und Frust gehören zusammen wie Männer und Motor, nur dass die letzte Begriffspaarung mit einer Form der Befriedigung einhergeht.
»Wie spät ist es?«, frage ich, um gleich darauf meine Aufmerksamkeit auf die schlecht lesbare Anzeige meiner Borduhr zu lenken.
»Oh! Ich muss los. Ganz vergessen, dass ich noch in die …« Den Rest meiner Rede hört Felicitas schon gar nicht mehr, da sie mit einem Satz aus dem Wagen ist und mir noch ein ›Vielen Dank‹ hinruft, bevor sie die Tür abermals unsachgemäß heftig schließt. Ob die mal Tennis gespielt hat, fragt sich Kalle und schaut mich kopfschüttelnd an. Verglichen mit dem Kerl, muss sie dich eher für einen dieser modrig-faltigen Uruk-Hai halten. No chance. Ja, ja, ja. Ist ja schon gut.
Ich krame in meiner CD-Sammlung, bloß nicht in den Rückspiegel sehen. Mehr oder weniger bewusst fische ich wahllos eine der älteren Sorte heraus. Eine Gebrannte ohne Aufschrift. Wie musste ich hier noch mal fahren, links oder rechts? Egal, irgendwie runter vom Berg. Rein mit dem Datenträger. U2, ›I have climbed highest mountain, I have run through the fields, Only to be with you – But I still haven’t found what I’m looking for‹. Immer wieder Kreisverkehr. Ab auf die Bahn. Ab auf die Pritsche. Augen zu. Morgen ist ein neuer Tag. Mit Arbeit, jawohl. Arbeit, bei der man am Ende sieht, was man gemacht hat. Ordentliches Handwerk. Bevor ich mich auf die Pritsche haue, könnte ich mein Plattenlager aufsuchen. ›But I still haven’t found what I’m looking for.‹
34
Dienstag
Neben meinen LPs fanden sich tatsächlich noch die alten Bukowski-Kurzgeschichten, wie beispielsweise die Stories vom verschütteten Leben. Entsprechend dem Schriftzug auf der Flasche des Covers hatte Giacomo das ›Hank‹-Schild vorgesehen.
Als ich an diesem sonnigen Dienstagmorgen nach einer etwas unruhigen Nacht, die Schulter schmerzte doch ziemlich und ließ mich nicht auf meiner bevorzugten Seite liegen, vor der Kneipe parke, sehe ich Giacomo auf der Veranda mit einem Cuttermesser Verpackungsmaterial traktieren. Es sieht so aus, als sei das Firmenschild nach seinem Entwurf gefertigt und soeben geliefert worden.
Ich schließe Marilyn ab. Rudi hatte mich heute Morgen um meinen Wagen gebeten, auch eine Begründung abgegeben, der ich jedoch nicht folgen konnte. Irgendwas mit, er könne da nicht mit dem Leichenwagen hin und das andere Auto werde von Susanne gebraucht, es folgten einige weitere Unds, jedenfalls war mir das um 6 Uhr entschieden zu viel Text von einem, der sonst kaum etwas sagt. Fakt ist, ich kutschiere heute morbid.
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