Totenkönig (German Edition)
verschrieben.
Auch dieser Tunnel endete. An der niedrigen Decke zeichnete sich, umrahmt von einfallendem grellem Sonnenlicht, eine lose Steinplatte ab.
Larkyen lauschte, ob dieser Ausgang möglicherweise auf eine b elebte Straße führte. Er hörte weder Stimmen noch Schritte.
Vorsichtig hob er die Steinplatte an. Trockene Erde rieselte in den Tunnel herab. Er spähte durch die Öffnung hinaus.
Zu seiner Beruhigung hatten sie das Stadtzentrum verlassen. Doch einem drohenden Mahnmal gleich ragte die Spitze der Pyramide in der Ferne auf – zur Erinnerung an die Allgegenwärtigkeit der Macht des Rates.
Larkyen kletterte als erster nach oben. Mit einer Geste wies er seine Gefährten an, noch eine Weile in dem Tunnel zu warten. Kho rgo und Zaira zeigten sich darüber sehr unerfreut. Sie konnten es kaum mehr erwarten, im warmen Schein der Sonne zu stehen und anstelle von kargem Gestein endlich wieder den Himmel über sich zu wissen.
Die vollen grünen Baumkronen über ihm warfen breite Schatten. Überall standen Bäume, ihren breiten knorrigen Stämmen nach w aren sie uralt und die letzten Reste eines Waldes, der sich einst bis zum Horizont erstreckt hatte, lange bevor sich die Menschen hier niederließen. Es war jene Art von Bäumen, die Geschichten hätten erzählen können, wenn sie der Sprache mächtig gewesen wären. Doch was würden sie erzählen? Geschichten von Unterdrückung und Mord? Sie waren stumme Zeugen der Zeit, stumme Zeugen jenes monumentalen Steinmonsters, das die Kathedrale des Fleisches genannt wurde und ganz in der Nähe emporragte.
Kapitel 10 – Der Zorn der Meridianer
Das Gebäude war beinahe so hoch wie die Pyramide, in seiner Form rechteckig angelegt und mit vielen prunkvollen Säulen verziert. Aus der Mitte heraus erhob sich ein schlanker Turm mit goldener Spitze, die im Sonnenschein glitzerte, als sei sie mit Hunderten von Rubinen besetzt. Die dicken Mauern bestanden aus dunklem Granitstein , wie er noch immer in den Steinbrüchen des Helyargebirges von Sklaven abgebaut wurde. Aus den nischenartigen Fenstern drang der süßlich stechende Duft von Räucherwerk und ätherischen Ölen. Von dem bogenförmigen Tor der Kathedrale des Fleisches führte ein geradliniger Weg in Richtung des Stadtzentrums.
Immer wieder sah Larkyen sich um, seine Sinne witterten weder Menschen noch den Sohn der ersten schwarzen Sonne. Einem Rau btier gleich schnellte er auf die Kathedrale zu. Das schwere Holztor des Gebäudes ließ sich ohne Widerstand öffnen, dahinter offenbarte sich ein weitläufiger Raum. Der Geruch von Gewürzen wie Zimt und Vanille schlug Larkyen entgegen, doch auch der abgestandene Geruch von Blut, Schweiß und Fäkalien war an diesem Ort zugegen. Der Boden war mit längst verwelkten Rosenblüten übersät, die ein sanfter Windhauch fortblies. Neben mehreren leeren Feuerschalen gab es noch flache weite Kupferschalen für duftende Öle; der Inhalt war bereits flockig geworden und verströmte nur noch einen schwachen Nelken- oder Orangenduft.
Eine Treppe führte auf ein rundes Podest. Von der Decke darüber hingen vier schwere Eisenketten herab, mit Halterungen für Hand– und Fußgelenke. Larkyen konnte nur ahnen, welchen abartigen Ne igungen sich die Ratsmitglieder an diesem Ort hingaben.
Er erkundete noch den Turm der Kathedrale. Eine steile Treppe endete in einem Raum, der in jeder Himmelsrichtung ein hohes Fen ster aufwies. Von dort bot sich Larkyen ein gutes Blickfeld auf die Umgebung. Er sah, dass sich die Bäume noch über ein weites Feld erstreckten, und erst dahinter wieder Bauten aus Holz, Stein und Lehm emporragten. Außerdem konnte er Teile der angrenzenden Straßen erkennen. Wenn sich Soldaten oder sogar Meridias persönlich nähern sollten, würde er es rechtzeitig sehen. Im Moment konnte diese Gegend jene Sicherheit bieten, die er sich für seine Gefährten wünschte.
Erst nachdem Larkyen auch die nähere Umgebung auskundschaftet hatte, ließ er Khorgo und Zaira aus dem Tunnel klettern. Patryous folgte ihnen, sie sah sich ebenfalls um.
„Diese Gegend ist unbewohnt“, sagte Larkyen. „Weit und breit gibt es hier keine Meridianer. Und diese Kathedrale wird mit aller Wahrscheinlichkeit erst beim nächsten Vollmond wieder besucht werden. Hinter diesen Mauern feiern die Ratsmitglieder ihre abartigen Feste.“
„Bis zum nächsten Vollmond vergehen noch zehn Nächte“, sagte P atryous. „Und die Krieger des Totenheers werden schon kommende Nacht in der Stadt
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