Totenkönig (German Edition)
erstreckte. Noch am Nachmittag war Larkyen mit den Majunay und den Zhymaranern an seinem Ufer en tlanggegangen.
Nur kurz sah der Unsterbliche Wanar an und flüsterte: „Geh s ofort nach unten. Alle sollen sich auf den Boden legen und keinen Laut von sich geben. Bleibt von den Fenstern weg. Patryous soll das Tor bewachen.“
„Was siehst du da draußen?“ Wanars zusammengekniffene A ugen versuchten, die Dunkelheit auf den Feldern und in den Gräben zu durchdringen.
„Tu, was ich dir sage“, knurrte Larkyen.
Der panische Ausdruck in Wanars Gesicht verriet, dass der Mann ahnte, was Larkyen gesehen haben musste. So leise wie möglich hetzte Wanar die Treppen im Turm hinab. Larkyen hörte ihn noch einmal flüstern, dann kehrte Stille in der Kathedrale ein.
Draußen strich der Wind über die Felder und ließ die Halme r ascheln. Grillen zirpten, irgendwo quakten Enten, aus dem Stadtzentrum erklangen Schreie. Und in einem Wassergraben befand sich Meridias. Sein riesiger bleicher Leib zeichnete sich auf dem Grund ab, mit seinen langen Armen und Beinen arbeitete er sich voran. Jede seiner Bewegungen zeugte von zunehmender Entkräftung. Er zog eine lange Blutspur hinter sich her. Die Verletzungen durch den schwarzen Stahl ließen Meridias wie einen Sterblichen erscheinen.
Vor Beginn des Strygarerkrieges hatte Larkyen eine Verwundung durch eine solche Klinge am eigenen Leib erdulden müssen. Viele Tage und Nächte hatte es damals gedauert, bis jene Wunde endlich verheilt war.
Larkyen war erleichtert, als der Sohn der ersten schwarzen Sonne endlich an der Kathedrale vorbeigetaucht war. Aus einem anderen Turmfenster sah er Meridias lange nach und beobachtete, wie dessen riesige Gestalt mit dem Horizont verschmolz.
Kapitel 12 – Die Nacht des Totenkönigs
Larkyen ging die Treppen hinunter. Er verursachte keinen Laut. Er konnte die Majunay und die Zhymaraner bereits hören, eher er die letzte Stufe betreten hatte.
Menschen schien es unmöglich zu sein, sich völlig lautlos zu ve rhalten. Er konnte sie immer hören, entweder auf Grund ihrer Atmung, wegen ihres Herzschlags, oder weil sie miteinander flüsterten.
Inmitten des Saals lagen sie auf dem Boden, die Frauen hatten die Kinder fest an sich gedrückt. Einige der Männer sahen immer wieder zu den Fenstern, eine Hand auf ihre Schwerter gelegt. Patryous kni ete regungslos wie eine Statue neben dem Tor und hielt ihren Speer mit beiden Händen umklammert.
„Meridias ist fort“, sagte Larkyen. Dass er nicht flüsterte, sondern in normaler Lautstärke sprach, ließ die Angespanntheit aus den Gesichtern der Majunay und der Zhymaraner weichen. Sie erhoben sich vom Boden.
„Es ist soweit“, verkündete Larkyen.
Um Mitternacht gelangten die Geister des Totenheers in die Stadt der Welt. Sie nutzten die tiefe Dunkelheit, um nicht von den Augen U nschuldiger gesehen zu werden. Im Verborgenen durchquerten sie das östliche Stadttor. Keine der Wachen bemerkte sie. Die Geister schwärmten in das Hafenviertel aus. Sie waren wie ein grausiger Spuk, der nebelgleich durch enge Gassen und Straßen kroch. Sie positionierten sich an strategisch wichtigen Plätzen wie der Hauptstraße, dem Pier, dem Märtyrerdenkmal und in der Nähe der Grenzen zu anderen Vierteln. Anfangs verharrten sie dort und beobachteten die Menschen.
Trotz der Unruhen im Stadtzentrum herrschte hier noch immer die von der Verlorgilde geschaffene Ordnung. In den Tavernen und Bo rdellen, die von der Gilde betrieben wurden, tummelten sich wie jede Nacht viele Besucher. Aus den Zimmern der Huren drang Lachen und lustvolles Stöhnen. Die Mehrheit der Gäste war längst betrunken. Männer begannen sich vor den Gebäuden zu prügeln oder zu Schwertkämpfen herauszufordern. Sie taten, was sie immer getan hatten, der Aufstand schien sie nicht zu interessieren. Velorkrieger trieben die Trunkenbolde auseinander, nur selten mussten sie Gewalt anwenden. Durch ihre markanten Gesichtsbemalungen unterschieden sie sich deutlich von den Gästen.
Aus der Ferne gab Larkyen den Befehl zum Angriff. Der Unster bliche sah durch die Augen der Geister und durch ihre an ihn vermittelten Sinneseindrücke war er gewissermaßen aktiv am Geschehen beteiligt. Die Geister töteten schnell mit Schwertern und Äxten aus schwarzem Stahl, oder indem sie mit ihren schemenhaften Händen in die Leiber der Lebenden eindrangen. Widerstandslos schlossen sich ihre Finger um schlagende Herzen und zerquetschten sie in der Brust.
Larkyen
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