Totenkönig (German Edition)
Meridias gebracht worden. Es war ein uralter Brauch, die toten Majunay in Heimaterde zu bestatten.
Khorgo setzte einen Spaten an und begann in der trockenen Erde zu graben. Plötzlich hielt er inne. Ein weiterer Trauerzug näherte sich, der ausschließlich aus Ostländern bestand. Larkyen schätzte i hre Zahl auf weit über hundert Männer, Frauen und Kinder. Sie verteilten sich um den Planwagen und die Ebene. Eine alte Majunayfrau trat nahe zu Khorgo heran und sagte: „Wir sind die Majunay der Stammesvereinigung der Stadt Meridias, hervorgegangen aus den Stämmen der Yavar, Nevay, der Chingakor, der Weylochans, der Salyrian und der Mongoly. Die Kunde ist zu uns gedrungen, dass neue Landsleute in die Stadt gekommen sind. Ich bin Anyar, die Schamanin, und spreche für unsere Gemeinschaft, denn bei uns gibt es keinen Häuptling, sondern nur freie Menschen. Zu meinem Bedauern begegnen wir uns erst jetzt. Während der Unruhen wurde unser Viertel von den Soldaten besetzt, da sie vermuteten, ihr könntet versuchen Zuflucht bei uns zu finden. Doch will ich euch jetzt sagen, ihr seid nicht länger allein. Wir Majunay helfen einander in größter Not. Wir sind da, wir sind in dieser Zeit der Trauer bei euch. Und wir werden auch bei euch sein, wenn ihr euch in Meridias ein Heim erbaut. Ihr seid willkommen.“
Mehrere Männer traten an Khorgos Seite; sie trugen bereits Sp aten bei sich und begannen die Gräber für die Toten auszuheben.
„Für Khorgo und Zaira wendet sich alles zum Guten“, sagte Patryous. „Sie stehen von nun an unter dem Schutz einer Gemeinschaft ihrer Landsleute. Sie werden gut aufeinander acht geben.“
„Lassen wir sie allein“, sagte Larkyen. „Lassen wir die Menschen in dieser Zeit der Trauer unter sich sein.“ Für einen Moment sah Kho rgo zu Larkyen hinüber. Sie nickten einander zu.
Larkyen und Patryous gingen zurück zu den Hügelgräbern, wo sie wieder allein waren. Sie hörten, wie die Majunay einen Trauergesang anstimmten. Wie oft hatte Larkyen ihr Lied gehört, als er einst durch die Steppe des fernen Ostens gezogen war. „Der Wind flüstert deinen Namen, von Osten nach Westen, von Norden nach Süden. Und auf ewig hallt das Lied der Freiheit im unendlichen Gräsermeer wider. Oh großer Fluss Nefalion, trage diese Botschaft in die Ferne, zu j enen hin, die keine Freiheit kennen. Soll dein Rauschen ihnen die Kunde bringen, vom Land der Freien, vom Land der Steppe, von der Heimat der Nomaden.“
Der Wind ließ die Blätter der Bäume rascheln, in den Ästen hatten sich Dutzende von Krähen niedergelassen und begannen zu krächzen. Da trat aus den Schatten dieselbe dunkle Gestalt hervor, die Larkyen bereits am Morgen im Stadtzentrum erblickt hatte.
Ihr schwarzes Gewand flatterte im Wind, die weite Kapuze ve rdeckte einen Großteil des Gesichts, doch deutlich sichtbar leuchteten die fahlen Knochen eines Totenschädels darunter. Die Krähen flogen auf und umflatterten die Gestalt, als wollten sie ihr Geleit geben. Mit beiden Händen hielt sie die große schwarze Sense. Der Stahl war pechschwarz wie die finsterste Nacht und reflektierte den Schein der Sonne. Eine nicht zu unterschätzende Bedrohung ging von dieser Gestalt aus.
Patryous nahm sofort Kampfhaltung ein, Larkyens Hand schnellte instinktiv an den Griff seines Schwertes.
„Wer oder was bist du?“ flüsterte Patryous.
Die Gestalt lachte. Ihr Lachen klang beinahe so krächzend, als hätten es die Raben ausgestoßen. „So wie ihr beide mich anseht, glaubt ihr, ich sei der leibhaftige Tod, doch das ist nicht mein Name. Ich bin nur ein Totenflüsterer, der letzte Totenflüsterer, und so dürft ihr mich auch nennen.“
„Und was führt dich hierher in diese Stadt? Sprich rasch!“
„Ich bin wegen Meridias, dem Sohn der ersten schwarzen Sonne hierhergekommen. Er glaubte an unsere Lehren und war mir viele Jahre lang ein guter Schüler. Meridias wollte das Tor zum Reich des Todes öffnen und ich war bereit, ihm dabei zu helfen.“
„Mittlerweile hat er selbst die andere Seite erreicht“, knurrte Larkyen. „Wir haben ihn dorthin gesandt, mit Schwert und Speer.“
„Ja“, seufzte der Totenflüsterer. „Und nun will ich euch zumi ndest in die Augen sehen. Ich will die beiden Unsterblichen kennenlernen, die meinen Schüler getötet haben.“ Er wandte sein Antlitz Patryous zu, der Totenschädel grinste sie an. „Ich sehe in dein Gesicht, unsterbliches Weib. Du musst wohl Patryous sein, nicht wahr?“ Plötzlich
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