Totenkünstler (German Edition)
der Täter ihn gebeten, einen Blick auf etwas zu werfen oder etwas zu halten, während er nach einem Werkzeug sucht.«
»Zähne?«
»Dupek hat einen Schlag ins Gesicht bekommen, der seinen Kiefer zertrümmert und ihm drei Zähne ausgeschlagen hat.«
Die Kellnerin brachte Stokes’ Frühstück. »Sind Sie sicher, dass ich Ihnen nicht auch was bringen kann?«, wandte sie sich an Hunter.
»Nein, danke, für mich nichts.«
»Na gut. Sagen Sie Bescheid, falls Sie es sich anders überlegen.« Die Kellnerin zwinkerte Hunter neckisch zu, bevor sie eine Drehung auf den Zehenspitzen vollführte und wieder verschwand.
Hunter kratzte behutsam die Narbe einer alten Schusswunde an seinem rechten Trizeps. Die Sache lag über zwei Jahre zurück, aber manchmal juckte die Wunde noch wie verrückt. »Wer auch immer der Täter ist«, sagte er, »er muss Dupek abgrundtief gehasst haben. Und deswegen bin ich hier. Sie haben mit ihm gearbeitet. Sie gehörten zur selben Abteilung. Können Sie sich an irgendeinen Fall erinnern, in dem Sie zusammen ermittelt haben? Fällt Ihnen irgendjemand ein, von dem Sie glauben, dass er imstande wäre, so was zu tun?«
Stokes säbelte eine große Ecke von seinem spanischen Omelett ab und nahm sie in die Hand, als wäre sie ein Stück Pizza. »Nach unserem Telefonat gestern Abend habe ich gewusst, dass die Frage kommt. Ich habe gründlich drüber nachgedacht. Und der Einzige, der mir einfällt, ist Raul Escobedo.«
»Wer ist das?«
»Mehrfachvergewaltiger. Wurde verurteilt, weil er innerhalb von acht Monaten drei Frauen in Lynwood Park und Paramount angegriffen hatte. In Wahrheit hat er wohl um die zehn Frauen vergewaltigt, aber nur drei haben gegen ihn ausgesagt. Ein sadistisches Schwein. Hat seine Opfer vor der eigentlichen Vergewaltigung brutal zusammengeschlagen. Er ist uns nur ins Netz gegangen, weil er, ohne dass er es ahnen konnte, einen Fehler gemacht hat.«
»Was für einen Fehler?« Hunters Neugier war geweckt.
»Das war so. Escobedo ist hier in L. A. geboren, aber seine Eltern stammen aus einem kleinen Bundesstaat in Mexiko. Colima.«
»Heimat des gleichnamigen Vulkans.«
»Stimmt genau. Das wissen Sie?«
Hunter nickte.
»Hm. Ich musste das erst nachlesen. Na ja, ist ja auch egal, jedenfalls sind Escobedos Eltern in die USA ausgewandert, bevor seine Mutter schwanger wurde. Sie stammten aus einem kleinen Ort namens Santa Inés. Obwohl Escobedo in Paramount aufgewachsen ist, wurde bei ihm zu Hause nur Spanisch gesprochen. Und genau das hat ihm das Genick gebrochen. Die Leute aus Santa Inés sprechen nämlich einen ganz bestimmten Dialekt. Ich persönlich höre da keinen Unterschied, aber bitte.« Stokes biss erneut von seinem Omelett ab. »Er hatte die Heimatstadt seiner Eltern nie gesehen, sprach aber den Santa-Inés-Dialekt wie ein Einheimischer. Und genau das war sein Verhängnis. Er hat den Frauen gerne Schweinereien ins Ohr geflüstert, während er sie vergewaltigt hat. Sein letztes Opfer stammte aus Las Conchas, das ist ein Nachbarort von Santa Inés.«
»Sie hat seinen Dialekt wiedererkannt«, sagte Hunter.
»Nicht nur das.« Stokes lachte leise. »Escobedo hat damals bei der Post am Schalter gearbeitet. Zwei Wochen nach der Vergewaltigung war die Frau bei einer Freundin in South Gate zu Besuch. Es war eine Woche vor dem mexikanischen Muttertag, deswegen sind sie zusammen auf die Post, weil die Freundin ihrer Mutter eine Karte schicken wollte. Und wer bedient sie? Kein Geringerer als Escobedo. Kaum hatte die Frau seine Stimme gehört, hat sie angefangen zu zittern. Aber sie hat die Nerven behalten. Statt in Panik zu geraten und ihn misstrauisch zu machen, ist sie einfach wieder rausspaziert, hat eine Telefonzelle gesucht und die Polizei gerufen. Wir haben ihn observiert, und – zack – drei Wochen später haben wir ihn in flagranti erwischt, als er sich gerade an einer weiteren Frau vergehen wollte. Andy und ich haben ihn festgenommen.« Stokes wandte sich wieder seinem Kaffee zu, doch Hunter spürte sein Zögern. Da war noch mehr. Stokes hielt mit etwas hinterm Berg.
»Was ist bei der Festnahme passiert?«
Stokes legte sein Omelettstück hin, fuhr sich mit der Serviette über den Mund und sah Hunter über den Tisch hinweg forschend an.
»Von Cop zu Cop?«
Hunter antwortete mit einem nachdrücklichen Nicken. »Von Cop zu Cop.«
»Na ja, nach der Verhaftung haben wir ihn uns ein bisschen vorgeknöpft.«
»Vorgeknöpft?«
»Sie wissen doch selbst, wie das ist, Mann.
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