Totenkünstler (German Edition)
bin ich in die Hufe gekommen«, meinte sie ungerührt.
»Du hast dich in die Datenbank des Gefängnissystems von Kalifornien gehackt?«
Alice reagierte mit einem unmerklichen Schulterzucken.
»Was?« Garcia lachte über Hunters Frage. »Mir hast du doch gesagt, es hätte eben Vorteile, wenn man den Bezirksstaatsanwalt, den Bürgermeister von Los Angeles und den Polizeichef auf unserer Seite hat.«
Alice sah ihn von der Seite an und lächelte. »Das war gelogen. Sorry. Ich wusste ja nicht, wie du darauf reagieren würdest, dass ich mich nicht an die Dienstvorschrift gehalten habe. Manche Polizisten sind da ein bisschen pingelig.«
Garcia erwiderte ihr Lächeln. »Nicht in diesem Büro.«
»Also gut, was haben wir denn?«, wandte Hunter sich an Garcia.
Garcia blätterte in der ersten Akte. »Alfredo Ortega kam elf Jahre vor Ken Sands ins Gefängnis, der, wie Alice uns gestern mitgeteilt hat, von Ortega als nächster Angehöriger angegeben wurde. Während dieser elf Jahre zwischen Ortegas Verurteilung und Sands’ Verhaftung hat Ken Sands Alfredo Ortega sage und schreibe dreiunddreißigmal im Gefängnis besucht.«
Hunter lehnte sich gegen die Schreibtischkante. »Dreimal pro Jahr.«
»Dreimal pro Jahr«, wiederholte Garcia nickend. »Aufgrund der Brutalität von Ortegas Verbrechen wurde er als sogenannter Grad-B-Verurteilter eingestuft, das bedeutet, dass für ihn nur Besuche ohne Körperkontakt erlaubt waren.«
»Alle Besuche für die Grad-B-Verurteilten finden in einem gesicherten Besucherraum statt, und der Häftling ist die ganze Zeit über in Handschellen«, setzte Alice hinzu.
»Besuchstermine bei Todeskandidaten werden nur nach Verfügbarkeit vergeben; Durchschnitt ist ein Besuch alle drei bis fünf Monate«, fuhr Garcia fort. »Die Besuche dauern zwischen ein und zwei Stunden. Wir haben Ortegas gesamte Besucherhistorie vorliegen. Jedes Mal, wenn Sands ihn besucht hat, ist er über die maximale Besuchsdauer geblieben.«
»Okay, und hat außer ihm noch jemand anders Ortega besucht?«, wollte Hunter wissen.
»Als Ortegas Hinrichtungstermin näher rückte, haben die üblichen Leute bei ihm angeklopft – Reporter, Mitglieder von Aktionsgruppen gegen die Todesstrafe, jemand, der ein Buch über ihn schreiben wollte, der Gefängnispriester … Du weißt ja, wie das ist.« Garcia blätterte eine Seite um. »Aber während der ersten elf Jahre seiner Haft war Sands sein einziger Besucher. Außer ihm keine Menschenseele.« Garcia klappte die Akte zu und reichte sie an Hunter weiter.
»Dass Sands Ortega besucht hat, hätten wir uns auch so denken können«, stellte Hunter fest, während er in der Akte blätterte. »Durch Alices Recherchen wussten wir ja, dass sie ein sehr enges Verhältnis hatten, es war also nichts anderes zu erwarten. Ist das alles?«
»Ortegas Besucherprotokolle beweisen lediglich, dass Sands all die Jahre über mit ihm in Kontakt geblieben ist«, meldete sich Alice aus einer Ecke des Büros zu Wort. Sie schlürfte dort ihren Kaffee. »Besuche finden unter Aufsicht statt, aber die Inhalte der Gespräche sind privat. Sie hätten über alles Mögliche reden können. Und nein, das ist nicht alles.« Ihr Blick ging von Hunter zu Garcia, wie um zu sagen: Na los, zeigen Sie es ihm.
Garcia griff nach der zweiten Akte und schlug sie auf.
»Das hier ist Ken Sands’ Gefängnisakte«, sagte er. »Jetzt wird es allmählich interessant.«
55
Garcia zog ein DIN-A4-Blatt aus der Mappe und gab es Hunter.
»Sands’ Besuchsprotokolle sind nicht weiter bemerkenswert. Während der ersten sechs Jahre seiner Haft hat er vier Besuche pro Jahr bekommen, alle von derselben Person.«
Hunter sah nach. »Seiner Mutter.«
»Genau. Sein Vater hat ihn nie besucht, aber das ist angesichts ihrer Beziehung ja auch nicht weiter verwunderlich. Während der restlichen dreieinhalb Jahre hatte Sands dann keinen Besuch mehr.«
»Er war wohl nicht sehr beliebt, was?«
»Nicht wirklich. Sein einziger richtiger Freund war Ortega, und der saß in San Quentin.«
»Zellengenossen?«, fragte Hunter.
»So ein harter Hund namens Guri Krasniqi«, antwortete Alice.
»Albaner, einer der großen Bandenchefs.« Hunter nickte. »Habe von ihm gehört.«
»Genau der war es.«
Garcia lachte leise. »Tja, wahrscheinlich sind die Chancen größer, auf dem Weg aus dem Büro in Einhornkacke zu treten, als einen albanischen Gangsterkönig zum Reden zu bringen.«
Auch wenn Garcias Bemerkung als Scherz gemeint war, traf sie im Kern zu,
Weitere Kostenlose Bücher