Totenkünstler (German Edition)
Lancaster verbüßt – in demselben Block, in dem auch Ken Sands untergebracht gewesen war.
57
Da Tito unter Bewährungsaufsicht stand, war es nicht weiter schwer, ihn ausfindig zu machen. Seine Meldeadresse war eine kleine Wohnung in einem Sozialbau in Bell Gardens, East L. A. Sein Bewährungshelfer hatte Hunter wissen lassen, dass Titos Verhalten vorbildlich sei. Er komme stets pünktlich zu ihren Treffen, sei in einem Lagerhaus angestellt und habe bisher noch keine seiner wöchentlichen Sitzungen bei dem ihm zugeteilten Psychologen versäumt.
Hunters und Garcias erste Anlaufstelle war Titos Arbeitsplatz, eine Lagerhalle in Cudahy im Südosten von Los Angeles. Der jüdische Besitzer, ein kleiner und sehr runder Mann mit Dauerlächeln im Gesicht, teilte Hunter mit, dass Tito freitags freihabe, allerdings am Samstag wieder zur Arbeit erwartet werde, falls sie es dann noch einmal versuchen wollten. Samstags arbeite er die Nachtschicht von einundzwanzig bis fünf Uhr.
Das Haus, in dem Tito wohnte, war ein quadratischer Backstein-Klotz westlich vom Bell Gardens Park gelegen. Als die eiserne Eingangstür hinter Hunter und Garcia ins Schloss fiel, hörte es sich an wie ein zuschlagendes Gefängnistor. Der kleine, dämmrige Eingangsflur stank nach Urin und altem Schweiß, und nicht ein Quadratzentimeter Wandfläche war frei von Graffiti. Fahrstühle gab es nicht, lediglich eine verdreckte, schmale Treppe, die bis in den fünften Stock hinaufführte. Titos Apartment hatte die Nummer 311.
Weitere Graffiti begleiteten Hunter und Garcia bis nach oben und ließen das Treppenhaus wie einen bunten, psychedelischen Tunnel wirken. In der dritten Etage angekommen, wurden sie von einem Gestank begrüßt, der noch ekelerregender war als unten in der Halle – saure Milch oder altes Erbrochenes.
»Verdammt«, sagte Garcia und hielt sich die Nase zu. »Hier riecht’s wie in einer Kloake.«
Vor ihnen lag ein langer, schmaler Korridor im Halbdunkel. Ziemlich genau in der Mitte hatte eine der wenigen noch funktionierenden Neonröhren an der Decke offenbar einen Wackelkontakt. Sie flackerte wie ein Discoscheinwerfer.
»Fehlt nur noch die Musik«, meinte Garcia trocken. »Und eine Putzkolonne mit Desinfektionsmittel und Lufterfrischer.«
Die Tür zu Nummer 311 befand sich direkt unter der flimmernden Neonröhre. Aus der Wohnung drangen spanische Dance-Klänge. Hunter klopfte dreimal, dann gingen beide Detectives gewohnheitsmäßig links und rechts neben der Tür in Stellung. Nichts geschah. Hunter wartete etwa fünfzehn Sekunden ab, dann klopfte er noch einmal, bevor er schließlich das rechte Ohr an die Tür presste. Drinnen bewegte sich etwas.
Wenige Sekunden später wurde von einer dunkelhaarigen Latina geöffnet. Sie war etwa eins sechzig groß, Anfang zwanzig und geradezu erschreckend mager. Ihre dunkle Haut spannte sich über die Knochen, als hätte sie sonst nichts, woran sie sich klammern konnte. Ihre Pupillen waren so groß wie Kaffeebohnen, ihr Blick weggetreten. Sie war nackt bis auf einen schlecht sitzenden chinesischen Morgenmantel, den sie sich hastig um die knochigen Schultern gelegt hatte. Sie machte sich nicht die Mühe, ihn zuzubinden.
»Oh, sexy Besuch«, sagte sie mit spanischem Akzent, noch bevor Hunter und Garcia Gelegenheit hatten, sich vorzustellen. »Besuch ist toll. Je mehr, desto lustiger.« Sie schenkte ihnen ein nikotinfleckiges Lächeln und zog die Tür vollständig auf. »Kommt rein, dann kann die Party abgehen.« Sie warf Hunter eine Kusshand zu und begann sich im Takt der Musik zu wiegen.
»Was machst du da für einen Scheiß, Schlampe?« Tito kam aus dem Schlafzimmer. Er trug ein violettes Spitzenhöschen und sonst nichts. »Komm wieder rein und …« Er verstummte mitten im Satz, als sein Blick auf die zwei Neuankömmlinge fiel. »Was soll der Scheiß?« Er versuchte seine Blöße zu bedecken. Hunter und Garcia waren bereits in der Wohnung, und beide starrten Tito an – einen eins fünfundsiebzig großen, knapp hundert Kilo schweren Kerl mit birnenförmigem Körper, der ein Damenhöschen trug.
»Das ist kein schöner Anblick«, raunte Hunter.
Garcias Kopfschütteln war kaum wahrnehmbar. »Aber so gar nicht.«
»Hier sind noch ein paar Leute für unsere Party, Papi«, sagte die junge Frau und warf die Tür zu. »Kommt, zieht euch aus, dann tanzen wir.« Sie ließ den Morgenmantel zu Boden gleiten und machte sich an Hunters Hemdknöpfen zu schaffen. Sanft schob er ihre Hände
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