Totenkult
Interesse am Umbau, um sich das Porzellan ansehen zu können.
Eine Bewegung am Rande seines Gesichtsfeldes erregte Boschs Aufmerksamkeit. In der Eingangstür, die Henri in seiner nonchalanten Art einfach offen gelassen hatte, stand sein Diener, Cesario. Diesmal trug der junge Mann Jeans und eine weiße Kochbluse. Er trocknete sich die Hände an einem blau karierten Küchenhandtuch ab und schaute dabei mit zusammengekniffenen Augen seinem Dienstherrn hinterher. In den verknoteten Schürzenbändern steckte ein langes Messer. Da bemerkte er Bosch, drehte sich um und verschwand im Halbdunkel der Halle. Quietschend fiel die Tür ins Schloss. Anscheinend spielte Cesario für Henri auch den Leibwächter. Bosch folgte Henri und der Aschenbach.
Der mit Efeu überwachsene Torbogen führte in den Schlossgarten. Auf der Terrasse standen Korbsessel um einen gedeckten Frühstückstisch. Von hier hatte man einen Blick über den ganzen Wolfgangsee. Frau Aschenbach hatte bereits Platz genommen, während Henri dabei war, Teesud in kleinen Gläsern mit heißem Wasser aus einem silbernen Samowar aufzufüllen. Als er Bosch bemerkte, winkte er ihn heran.
»Ah, mon cher , kommen Sie …« Henri deutete mit dem Kinn auf die Pläne in Boschs Hand. »Wie ich sehe, haben Sie unsere Arbeit mitgebracht.« Er reichte Frau Aschenbach ein goldgerändertes Teeglas. »Achtung, Madame, sehr heiß.«
Bosch ließ sich vorsichtig in einem der geflochtenen Sessel nieder und legte die Pläne neben sich auf den Boden. Die unregelmäßigen Steinplatten hatten Sprünge, und zwischen ihnen wuchs Gras. Auf dem Tisch standen Weißbrot, Schinken, ein großes Stück Käse und ein Teller mit Erdbeeren. Auf einem Silberteller schwammen Blätterteigstücke in einem See aus Zuckersirup und gehackten Nüssen. Buk Cesario die Baklava etwa selbst?
»Ich habe mir den Grundriss angesehen.« Bosch nahm sein Teeglas in Empfang. »Aber ich bin nicht ganz schlau daraus geworden.« Das süße Gebäck roch köstlich.
»Warum?« Henri legte Frau Aschenbach ein Stück Baklava vor.
Die starrte auf ihren Teller, als hätte man ihr eine gebratene Giftschlange serviert.
»Die Pläne waren im Archiv. Ich fürchte, es sind die einzigen.« Er lächelte und griff nach einer Erdbeere.
Bosch nippte an seinem Glas. Es war Pfefferminztee, heiß und dabei sehr erfrischend. »Sie sind ungenau.«
»Ungenau?« Henri hob die Brauen. »Brauchen wir etwa neue Pläne?« Er steckte die Erdbeere in den Mund.
»Wenn Sie keine anderen finden … ja.«
Henri schüttelte den Kopf. »Unmöglich, das würde den Umbau unnötig verzögern. Die Baufirma muss eben damit auskommen. Die sehen ja, wo die Wände stehen.« Er wandte sich an Frau Aschenbach. »Madame, probieren Sie doch die Baklava. Ich habe sie gestern vor dem Abflug noch auf dem Markt in Istanbul gekauft. Ich hole sie immer am selben Stand. Leider verrät Mehmet sein Rezept nicht.« Er seufzte tief, als wäre diese Misslichkeit das größte seiner Probleme.
Jetzt erinnerte sich Bosch, dass Henri bei einer Ausgrabung in der Türkei gewesen war. Das Licht, das er jeden Abend hinter den Fenstern des Schlosses gesehen hatte, musste Cesario entzündet haben. Sicher war es richtig, die ganzen Kunstschätze nie unbewacht zu lassen. Aber gab es im Schloss keine Alarmanlage?
Frau Aschenbach stach zögerlich mit der Gabel in ihr Stück Baklava. »Ist es denn wichtig, dass das Museum so schnell aufsperrt? Ich meine, ein Jahr mehr für die Planung und Finanzierung ist doch ein Vorteil, oder? Zumindest sagt das mein Mann.« Sie stach ein Stück Blätterteig ab und ertränkte es in Zuckersirup. »Und der ist ja in der Baubranche.«
Henri lehnte sich im Sessel zurück. Das alte Korbgeflecht ächzte. »Ihr Mann hat vollkommen recht, Madame. Aber bei der Erhaltung des Schlosses unterstützt uns das Denkmalamt, und für die Kulturinitiative gibt es zum Glück genügend Geldmittel aus Brüssel. Sonst wäre dieses Projekt gar nicht durchführbar. Und deshalb müssen wir das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Wer weiß, wie es nächstes Jahr mit der Finanzierung aussieht.« Bosch fing einen scharfen Blick auf. Keine Sperenzchen wegen der Pläne, hieß das wohl. »Ihr Mann ist also Bauunternehmer, Madame?«
Frau Aschenbach lachte. »Na ja, Häuser baut er nicht. Mein Mann handelt mit Immobilienfonds.«
»Ach.« Henri wandte sich an Bosch. »Hans, haben Sie schon mal von so was gehört?«
Frau Aschenbach hörte auf, ihr Gebäck mit der Kuchengabel
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