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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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Trotzdem fühlte sie sich unbehaglich. »Gibt es hier im Schloss noch anderes Personal? Ich meine, außer Cesario?«
    »Nein.« Henri schien nichts bemerkt zu haben. Er drehte sich um und humpelte auf eine niedrige Tür am Ende des Ganges zu.
    Widerwillig folgte Marie ihm. Da hörte sie ein Rascheln hinter sich. Hastig warf sie einen Blick über die Schulter. Der Affe saß bewegungslos auf seinem Podest und schaute immer noch in dieselbe Richtung. Die Stimmung in so einem alten Gemäuer war wirklich ein richtiger Nährboden für Gespenstergeschichten.
    »Vorsicht, Kopf einziehen.« Henri stieß die niedrige Tür auf und fasste um den Rahmen. Gleich darauf fiel ein Lichtstreifen in den Gang. »Jetzt kommen wir in das sogenannte Refektorium. Obwohl es hier im Haus nie Mönche gegeben hat. Zumindest nicht, soweit ich weiß.«
    Seine Stimme hallte in dem Raum hinter der Tür. Aber da war auch wieder dieses raschelnde Geräusch. Maries Nackenmuskeln verhärteten sich.
    »Henri, haben Sie das gehört?«
    »Was, Madame?«
    »Dieses – ach Unsinn.« Sie lachte und hörte selbst, wie nervös sie klang. »Jetzt dachte ich schon, Sie haben Gespenster.«
    »Gespenster nicht, Madame.« Er grinste. »Nur Ratten.«
    »Oh.« Das fand Marie eigentlich noch schlimmer. »Dann bin ich ja beruhigt.« Sie quälte sich ein Lächeln ab und ging schnell durch die Tür, die Henri für sie offen hielt.
    Die Kälte in dem großen Raum, den sie betrat, jagte ihr eine Gänsehaut über die nackten Arme. Die Mauern waren nur zu einem Teil verputzt, zum anderen bestanden sie aus blankem Fels. In der Mitte der Halle stand ein langer Tisch, und an einer Wand hing ein bunter Teppich. Das war alles. Marie schaute sich nach Henri um. »Das ist es?«
    Henri hob den Zeigefinger und lächelte geheimnisvoll. »Nur noch einen Moment, hier hinter der Danba.« Er ging zu dem Wandteppich und zog ihn beiseite. Jetzt sah Marie, dass er wie eine Gardine an einer Metallschiene lief. Dahinter kam ein kaum mannshohes Loch zum Vorschein. »Passen Sie auf, dass Sie sich nicht verletzen. Es ist noch alles so, wie die Arbeiter es hinterlassen haben.«
    Der Durchbruch war nicht mehr als ein Einstiegsloch in einer Tür, die einst zugemauert worden war. Da, wo die vom Alter grauen Ziegel abgebrochen waren, ragten scharfe rote Kanten in die Luft. Henri bückte sich und kletterte durch das Loch. Dann wandte er sich halb um und winkte sie zu sich. Marie raffte ihr weißes Kleid, um es nicht mit Ziegelstaub zu beschmutzen, und folgte ihm. Der Wandteppich, den Henri eine Danba genannt hatte, fiel herab und schloss sich hinter ihr wie ein Theatervorhang.
    Der Gang war eng und wurde nur von ein wenig Tageslicht erhellt, das durch eine Art Schießscharte hoch oben unter der Felsendecke einfiel. Staubkörnchen tanzten in den Lichtstrahlen, die wie Speere auf den unbefestigten Boden trafen.
    Marie konnte die Abdrücke grober Sohlen erkennen und einen kleinen Schuhabdruck, schmal und spitz und ohne Profil. Nicht nur die Bauarbeiter hatten vor Kurzem ihre Spuren hinterlassen, noch jemand hatte diesen Gang benutzt. Marie fröstelte. Die Wände aus geschichteten Natursteinen ragten hoch in das dämmrige Licht. In regelmäßigen Abständen waren Eisenringe befestigt, in denen noch Holzfackeln steckten. Ihre oberen Enden waren zu Holzkohle verglüht, die Wand hinter ihnen rauchgeschwärzt. Die Luft war so staubgesättigt, dass Marie das Atmen schwerfiel.
    »Hier ist seit dem Mittelalter nicht mehr gelüftet worden, was?« Maries Hals kratzte, als hätte sich der Staub in ihre Kehle gelegt, und sie musste husten.
    Henri, der ein paar Schritte weiter vor einer groben Holztür stand, lachte. »Die Leute früher hielten nicht viel von frischer Luft. Sie dachten, sie verbreite die Pest.« Er steckte einen Schlüssel ins Schloss und drehte ihn mühelos herum. Dann fasste er einen verrosteten Eisengriff und zog die Tür mit seinem ganzen Gewicht auf. »Voilà.« Ohne sich noch einmal nach Marie umzusehen, stieg er über die grobe Steinschwelle.
    Marie folgte ihm in einen schummerigen Raum, dessen Zeit als Schlosskapelle schon lange zurückliegen musste. Der Boden war mit abgeschliffenen Sandsteinplatten belegt, und die weiß gekalkten Mauern liefen in einem Kreuzgewölbe zusammen. Darunter hatte sich wohl einst der Altar befunden. Die Wandmalereien, bunte Heiligendarstellungen, waren verblichen und zum Teil kaum noch zu erkennen. Auch die Kirchenbänke waren verschwunden.
    Als einzige Möblierung

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