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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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sich beide von diesem Kratzen und Schaben ins Bockshorn jagen lassen. Erleichterung überkam Marie.
    »Henri«, rief sie. »Kommen Sie doch mal.«
    Keine Antwort. Wahrscheinlich taperte der Alte gerade durch das ganze Labyrinth von Gängen auf der Suche nach einem imaginären Einbrecher. Marie unterdrückte einen Seufzer, zog ihre Hermès-Tasche auf den Schoß und schloss fest die Finger um den Griff. Jetzt konnte sie sich nur noch in Geduld fassen. Die Wände der Kapelle verströmten eine feuchte Kälte. Sie fröstelte wieder. Zum Glück brauchte sie nicht lange zu warten. Auf dem Gang war ein Scharren zu hören.
    »Henri?« Sie beugte sich vor und schaute zur Tür. »Alles in Ordnung?«
    Keine Antwort. Maries Herzschlag beschleunigte sich. Diesmal hatte sie sich nicht getäuscht. Irgendwer oder irgendetwas war da draußen. Zögerlich stand sie auf. Da bemerkte sie, wie die Tür von außen zugedrückt wurde.
    »Henri?« Sie rannte los und krallte ihre Hände um die rostige Eisenklinke. »Um Himmels willen – Henri !«
    In diesem Moment schnappte die Türfalle zu, und der Schlüssel drehte sich im Schloss.

DREIZEHN
    Bosch zog das Messer aus dem Bauch des Schweines. Die Leinwand klappte vor und gab einen Ausschnitt auf das stumpfgelbe Schilf und den Wolfgangsee frei, der heute zäh wie flüssiges Blei in seinem Becken lag. Träge Wellen trieben heran und schwappten über den Ufersaum, wo der Hund ihnen mit kleinen Sprüngen auswich. Den ganzen Morgen schlich er schon herum, die Ohren gespitzt und die Nase im Wind. Vielleicht erinnerte er sich an die vorletzte Nacht und hatte beschlossen, ab jetzt wachsamer zu sein. Vielleicht war er aber auch nur auf der Jagd nach einer appetitlich fetten Wasserratte.
    Seufzend nahm Bosch das Bild von der Staffelei und lehnte es an die Wand. Nichts und niemand konnte sein Narrenschiff retten. Die Schnitte waren zu lang und zu unregelmäßig, als dass man die Leinwand hätte flicken können. Und selbst wenn, der Zauber dieser Arbeit war dahin. Eine unendliche Traurigkeit erfüllte ihn, wenn er das Bild ansah. Er nahm ein Leintuch, das er eigentlich zu Mallappen hatte zerreißen wollen, und warf es über den Spannrahmen.
    Vielleicht lag es an der Stunde, die er bei Vollmond auf den harten Holzbohlen des Steges gesessen hatte und die sich jetzt schmerzhaft in seinen Gliedern bemerkbar machte. Vielleicht lag es an der langen Nacht, die er wach gelegen hatte, erleichtert, dass seinem Hund nichts passiert war, noch nicht. Vielleicht lag es aber auch an Henris Worten des Zweifels, die wie ein schleichendes Gift in sein Gehirn getropft waren und sich dort festgefressen hatten. Immer wenn sein Blick zufällig auf das Haus der Aschenbachs fiel, schienen schwarze Schatten hinter der Hecke hervorzukriechen, seine Sicht zu vernebeln und seine Welt zu verdunkeln.
    Bosch sah zu der anderen Leinwand hinüber, die neben dem zerstörten Narrenschiff lehnte: »Der Magier«. Sollte er damit weitermachen? Aber irgendwie hatte er eine Aversion gegen das Bild. Es würde niemals seinen Ansprüchen entsprechen und stümperhaft bleiben. Heute merkte er selbst es, morgen sein Galerist und am Ende der Käufer. Es musste etwas geschehen.
    Der Hund stöberte aufgeregt im Schilf, sein Schwanz schlug wie ein Pendel hin und her. Gleich würde eine verzweifelte Ratte laut losquieken.
    »Auch das noch.« Bosch war nicht in Stimmung für tote Ratten. Er rief: »Hund, los, komm, wir gehen in den Ort.«
    Der Hund hob den Kopf und schaute zu ihm zurück.
    »Spaziergang.«
    Jetzt hatte der Hund begriffen und kam freudig angesprungen.
    Bosch trat auf die Straße hinaus. Einer der grünen Fensterläden des Bauernhauses schlug rhythmisch gegen die raue Hausmauer. Der Seewind strich durch die hohe Hecke aus Kirschlorbeer und ließ die dicken Blätter rascheln. Der Porsche parkte auf dem Vorplatz. Wolken eilten über den schwarzen Lack wie über einen Nachthimmel.
    »Scheint nicht zu Hause zu sein, die Frau Nachbarin«, meinte Bosch. »Aber im Büro ist sie auch nicht. Der Wagen steht draußen. Findest du das nicht seltsam?«
    Der Hund wedelte nur höflich mit dem Schwanz und trabte dann in Richtung St.   Gilgen los. Nachdenklich folgte ihm Bosch.
    Über Nacht war das Wetter umgeschlagen. Die Hitze vom Vortag war gebrochen, und eine steife Brise wehte vom See herauf. Graue Wolken hingen tief über dem Wasser. Die Berge lagen hinter Nebelschleiern, die die grünen Hänge nur noch erahnen ließen. Im Ortszentrum von St.  

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