Totenkult
sich fast mit dem Korkenzieher gestochen.
Henri und sein Coq au Vin fielen ihm wieder ein. Henri und das seltsame Gespräch an jenem verregneten Nachmittag in der Bibliothek. Henri und sein Verdacht, dass der plötzliche Herztod von Roland Aschenbach nicht natürlich gewesen war.
Je länger Bosch sich die Sache durch den Kopf gehen ließ, desto unwohler fühlte er sich. Was, wenn Henri recht hatte? Wenn man den Gerüchten glauben durfte, dann hatte Aschenbach seine Frau verlassen wollen. Vielleicht wäre sie bei einer Scheidung nicht gut davongekommen, man las ja so allerhand über Rosenkriege in der besseren Gesellschaft.
Aber jetzt war die Gute eine reiche Witwe. Henri vermisste ein Buch über Giftpflanzen. Die Aschenbach hatte sich Gartenbücher ausgeliehen. Und sie wohnte inmitten eines tödlichen Blumenmeers. Sie hatte ein Motiv, die Mittel und die Möglichkeit zum Töten. Die Marillen im Marmeladenglas auf dem Küchenregal leuchteten wie gefangene Sonnen.
Bosch setzte sich auf einen Küchenstuhl und faltete seine Hände vor dem Kinn. Also – was war am Abend vor Aschenbachs Tod geschehen? Etwas hätte ihm auffallen müssen. Etwas, von dem die Aschenbach annahm, dass er es bemerkt hatte. Und das ihr einen Grund lieferte, sein Narrenschiff zu zerstören und sich an seinem Hund zu vergreifen, um ihn zum Auszug aus dem Häuschen zu bewegen. Auf der Kaffeemaschine blinkte ein rotes Licht, als sich der Motor mit einem Krachen in Gang setzte. Kreischend verschwanden die ganzen Bohnen im Mahlwerk. Die Tassen neben dem Spülbecken vibrierten und schlugen aneinander.
Natürlich, das Steak. Bosch schlug mit der Hand auf die Tischplatte. Er hätte sich verfluchen können, dass er nicht früher daran gedacht hatte. Das Fleisch hatte abseits auf einem Teller gelegen, bedeckt mit schwarzen Krümeln und nicht für den menschlichen Verzehr bestimmt. Sogar der Hund war fast daran krepiert. Aber selbst wenn das Steak, nur mal angenommen, tatsächlich für Aschenbach bestimmt gewesen wäre – er hatte es schließlich nicht gegessen. Und konnte ergo auch nicht daran gestorben sein. Hatte es etwa noch einen zweiten Mordanschlag gegeben?
Die Voodoopuppe fiel ihm ein, gespickt mit einer Nadel, die wohl auf Aschenbachs schwaches Herz zielen sollte. Die alte Geiersberger hatte ein Motiv, und sie war jemand, die den Abwehrzauber einer Voodoopuppe kannte und gegen einen Feind einsetzen würde. Aber Bosch glaubte nicht an diesen Hokuspokus. Vielleicht war das ekelhafte Ding aber für ihn selbst bestimmt gewesen. Um ihn aus seiner lieb gewonnenen neuen Heimat zu vertreiben. Ein kindischer Versuch, ihm Angst einzujagen, aber durchaus ernst zu nehmen. Er hatte die Warnung ignoriert. Und daher jetzt der nächtliche Einbruch.
Die Aschenbach kannte den Hund gut genug, um ihm ungehindert einen Stein um den Hals binden zu können. Aber der Angriff galt natürlich ihm, Bosch. Wenn sie ihren Mann tatsächlich umgebracht hatte, würde sie vor einem zweiten Mord nicht zurückschrecken.
Und da war auch noch der Mann, der sich in der Gegend herumgetrieben und erbittert mit Aschenbach gestritten hatte. Vielleicht war er nach der Party ins Haus zurückgekehrt, vielleicht hatte er sich irgendwie trotz der Alarmanlage Zugang verschafft. Aschenbach war allein im Schlafzimmer gewesen und nahezu bewusstlos vom Alkohol. Ein Kissen, für ein paar Minuten aufs Gesicht gedrückt, hätte ausgereicht.
Bosch stützte sich auf die Tischplatte und stand auf. Er musste Henri anrufen und sich mit ihm beraten.
Das Telefon hing in einer dunklen Ecke an der Wand neben der Eingangstür. Es war ein alter schwarzer Apparat mit einer Wählscheibe und kaum noch leserlichen Zahlen. Bosch kannte die Nummer inzwischen auswendig, aber heute zerrte das behäbige Surren der Wählscheibe an seinen Nerven. Endlich hörte er am anderen Ende der Leitung, wie es im Schloss läutete. Erwartungsvoll straffte er seinen Körper. Aber das Läuten hörte einfach nicht auf. Niemand zu Hause. Damit hatte er nicht gerechnet. Vielleicht waren Henri und Cesario für einen Tag nach Salzburg gefahren. Oder für zwei Wochen nach Kuala Lumpur.
Enttäuscht hängte Bosch den Hörer ein und ging in die Küche zurück. Die Sonne war jetzt ganz verschwunden. Die Haut der eingemachten Marillen wirkte welk und grau. Wahrscheinlich lag die Aschenbach nur krank zu Hause. Allein in dem großen Haus. Es war seine gutnachbarliche Pflicht, ihr seine Hilfe anzubieten. Sie würde keinen Verdacht schöpfen,
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