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Totenmal

Totenmal

Titel: Totenmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Lykk
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Buch vom Tisch. Sophie stand aufgeregt neben ihm, Lüthje und Frau Wagner sahen über seine Schultern.
    Er betrachtete die Umschlagseite, die ihm vertraut war, und doch war ihm das Buch seiner vor einigen Jahren verstorbenen Mutter nie in den Sinn gekommen, als er sich mit den Kinderreimen an den Tatorten beschäftigte.
    Das Buch hieß »Der Goldene Brunnen«. Der Titel war in roten altdeutschen Lettern in den sommerblauen Himmel einer farbigen, sehr plastischen Illustration gedruckt. Ein Hahn saß mit geschwellter Brust krähend auf einem goldenen Brunnen, während bunte Schmetterlinge um ihn herumtanzten. Ein Rotkehlchen trank am Brunnen, ein Raubvogel saß daneben und betrachtete misstrauisch die Szene. Vor dem Brunnen wurde der Kasper mit, ja man glaubte es kaum, einer Freundin in einer offenen Kutsche von zwei Schaukelpferden gezogen. Das Buch hatte achtzig Seiten. Auf jeder Seite war eine Illustration abgedruckt, die Malbek in ihrer Farbentiefe und Detailtreue immer schon als prächtig empfunden hatte. Es gab ganzseitige Illustrationen von Ansichten eines Dorfes in den vier Jahreszeiten, Handwerker und andere Berufsstände. Geschichten über Kinder beim Schlittenfahren oder beim Schuhmacher, Haustiere, Laternelaufen, Geburtstage, verbotenes Naschen am eingeweckten Obst, Märchenhaftes, wie die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten oder des armen Mädchens, dem Sternlein und Goldtaler in die Schürze fielen, und des Suppenkaspers. Und Hintersinniges wie »… bring den kleinen Kindern was, lass die großen laufen, die können sich was kaufen«. Auch seine nachgemalte Schreibschrift fand Malbek und Sophies Bleistiftgekrakel, mit dem sie als Kleinkind auf fast jeder Seite die Seitenränder geschmückt hatte. Achtzig Seiten Kinderglück. Daraus hatte sich Benny Rathke Reime herausgerissen, mit denen er seine Morde kommentiert hatte. Er war in Malbeks und Sophies Innerstes vorgedrungen und hatte begonnen, es zu zerstören.
    Eine Ankündigung.
    Â»Es sieht so aus, als ob Rathke die Seite nach Sprüchen suchend durchblättert hat und dann mit der Hand die Seite so herausgerissen hat, dass der Reim, der ihm passend erschien, dabei war«, sagte Malbek.
    Alle stimmten ihm zu.
    Â»Die Seiten acht und sechzehn sind auf der linken Seite des aufgeschlagenen Buches. Die Zahlen hinter den Kinderreimen an den Tatorten beziehen sich also auf die Seitenzahlen der Seiten, auf denen er den Reim fand, den er herausgerissenen hat. Ich vermute, er hat vorwiegend auf den linken Seiten gesucht, weil er mit der linken Hand am besten die Seite herausreißen konnte, ohne den gewünschten Reim unleserlich zu machen. Die Seite dreiundsechzig ist allerdings auf der rechten Seite. Im verbleibenden Rest dieser Seite steht etwas von Ferkeln und Schweinen. Die Seite vierundsechzig handelt von einer Katze, die sich die Pfoten in einer Pfanne verbrannt hat. Das lässt zwar Raum für Spekulationen, bringt uns aber nicht wirklich weiter.«
    Â»Wie ist er an das Buch gekommen?«, fragte Lüthje und sah Malbek und dann Sophie an.
    Â»Wir wissen, dass Brassat mit Subunternehmern und Hilfskräften arbeitet«, sagte Malbek. »Rathke ist sicher nicht als Subunternehmer mit einer eigenen Firma aufgetreten. Wir sollten Brassat fragen, ob er Hilfskräfte bei seinen Arbeiten in Kropp beschäftigt hat. Wobei noch die Frage ist, wie Rathke eigentlich mit seiner behinderten Hand arbeiten konnte.«
    Â»Immerhin konnte er damit auch morden«, sagte Lüthje.
    Â»Hast recht. Wir, ich meine Sophie und mich, wissen, dass die Renovierung schnell gehen sollte. Bei meinem letzten Besuch in Kropp hab ich mit Hoyer Brassats Firmenwagen vor dem Haus stehen sehen.«
    Â»Der stand schon seit Wochen ständig vor dem Haus«, sagte Sophie wütend. »Und da sind sein Name, seine Adresse und seine Telefonnummer drauflackiert. Da konnte dieser Rathke also einfach ablesen, wen er anrufen und nach Arbeit fragen wollte. Krass!«
    Â»Woher kannte Rathke Marens und Sophies Adresse in Kropp?«, fragte Lüthje.
    Â»Ich glaube, er hat das alles schon während der Haft herausbekommen und durchdacht. Während der Haftzeit hatte ich viel Briefkorrespondenz mit Maren und Sophie. Sie haben damals schon in Kropp gewohnt. Und ihren Absender immer auf den Umschlag geschrieben. Sonst hätte ich den Brief womöglich gar nicht bekommen. Die Gefangenen hatten einen Mülleimer

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