Totenmesse
sie haben?
Aber Fjodor Kuvaldin wollte ihm alles geben. Als Dank für die gemeinsame Zeit ihrer Väter in dem Keller. Als Zeichen gegenseitigen Respekts und Verständnisses. Achim bedankte sich und begab sich mit seiner tödlichen Last nach Hause. Denn bald tauchten sie auf, die Verfolger. Sie schienen überall zu sein, wohin er auch kam in seinem Ostberlin, und er rief mich an und sagte, er würde verrückt, er könne die äuÃeren Dämonen kaum noch von den inneren unterscheiden. Er hatte das Tagebuch immer wieder gelesen, und ihm war klar geworden, wie wichtig die Arbeit seines Vaters gewesen war. Und er verstand auch, warum er gejagt wurde. Er teilte mir mit, dass er die Unterlagen in unserem geheimen Versteck in dem Baum im Park hinterlegen werde. Er selbst sei am Ende, sagte er. Für ihn gebe es keinen Ausweg. Vielleicht für die Karte und das Tagebuch. Aus alter Freundschaft überlieà er sie mir.
Zum Glück hat er nie erfahren, dass ich Stasi-Mitarbeiter war. Das hätte ihn erst recht zerbrochen. So konnte er wenigstens in dem Glauben sterben, die Dämonen überlistet zu haben.
Ich glaube, an jenem Frühsommermorgen 1985, als er sich auf den Weg zu unserem Versteck machte, wurde er tatsächlich vom KGB und von der CIA verfolgt. Und auch, als er seinem Leben durch einen Schuss in den Kopf ein Ende bereitete.
Die Stasi kannte unser geheimes Versteck nicht â es war ein Kindheitsort, den ich unangetastet gelassen hatte. Und jetzt unterlieà ich es, meinen Arbeitgebern davon zu berichten. Ich holte das Material am Tag nach Achims Tod aus dem Versteck. Drei Stücke Papier mit fragmentarischen Karten und das Tagebuch. Das war alles. Dafür waren nicht nur Maxim Kuvaldin und Hans Eichelberger, sondern auch Achim Eichelberger gestorben. Mein Freund.
Ich nahm das Material in Verwahrung. Ich verstand seine historische Bedeutung. Kurz darauf wurde ich in verschiedenen Städten Europas stationiert, und während meiner Zeit in Venedig mauerte ich eines der Kartenfragmente in einem Plastikrohr in der Wand des Hauptquartiers ein. Dann wurde ich für eine längere Zeit nach Schweden versetzt, in die Heimat meiner Mutter. Dort tat ich das Gleiche. Das dritte Papier behielt ich und verwahrte es in einem Bankfach.
Was habe ich mir dabei gedacht? Keineswegs dachte ich an die Umwelt und die Zukunft. Ich war ein geschulter Taktiker und dachte an mich selbst. Die Nachrichtendienste waren sicherlich nur froh darüber, dass das Material von selbst verschwunden war, aber trotz allem bestand das Risiko, dass sie mich, den alten Kameraden, ins Visier nehmen würden. Für diesen Fall brauchte ich eine hundertprozentige Rückversicherung. Ich glaubte, mir eine verschafft zu haben.
Auf jeden Fall konnte ich das Material an den Höchstbietenden verkaufen, wenn die Mauer fiel. Denn währendmeiner Zeit in Stockholm wurde immer deutlicher, dass die Tage der Mauer gezählt waren. Ich konstruierte eine Parallelidentität und bereitete mich darauf vor, als Johan Lidström in ein ehrbares schwedisches Durchschnittsleben einzutreten. Mein Chef Sven Fischer wollte, dass ich mich am Aufbau einer Sicherheitsfirma beteiligte, dort, wo das alte Stasi-Hauptquartier gelegen hatte, aber ich wollte auf eigenen Beinen stehen. Ich wollte möglichst weit weg von dem ganzen Spionagewahnsinn.
Ich wurde Computerexperte, denn ich hatte viel Erfahrung im Knacken von Datencodes. Jetzt drehte ichden Spieà um und schützte sie. Mithilfe einer Menge falscher Dokumente bekam ich einen Spitzenjob bei Svenska Säkerhetssystem AB in Saltsjöbaden. Das füllte mich völlig aus, ich verdiente gut und hätte die Karte und das Tagebuch und die versteckten Formeln fast vergessen. Viel zu viele Jahre, die produktiv für die Entwicklung von Alternativen zu fossilen Brennstoffen hätten genutzt werden können, vergingen. Ich sah, dass die Entwicklung zur Wasserstoffgas-Gesellschaft viel zu langsam ging, das begann an mir zu nagen. Und ich brauchte viel zu viel Zeit, um die schwedische Familie zu gründen, die ich immer hatte haben wollen. Aber schlieÃlich traf ich die richtige Frau. Meine Anna. Und nachdem wir es jahrelang versucht hatten, bekamen wir schlieÃlich einen Sohn, und ich fand den Mut, ihn Andreas zu nennen. Als kleine Huldigung an den, der ich trotz allem den gröÃeren Teil meines Lebens gewesen war. Und als neue Chance, Andreasâ zweite
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