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Totenmesse

Titel: Totenmesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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selbstständige Organisation, die lose mit der CIA verbunden ist, aber ziemlich freie Hand hat. ›Wir wollen nicht wissen, wie ihr es macht, aber seht zu, dass es gemacht wird.‹«
    Â»Ich glaube, ich kenne diese Organisation«, sagte Paul Hjelm und erschauderte. »Böses Blut kehrt wieder«, fügte er hinzu.
    Kerstin Holm sah ihn schräg an und sagte zu Becker: »Und Gunnar?«
    Â»Gunnar Nyberg muss in unser altes Stasi-Hauptquartier in Venedig eindringen, das Kartenfragment aus der Wand stemmen und vor den Agenten in Deckung gehen. Es ist inzwischen eine Zahnarztpraxis auf halbem Wege zwischen Markusplatz und Rialtobrücke. Ich sage noch genau, wo die Stelle ist.«
    Â»Vor den Agenten in Deckung gehen?«, sagte Paul Hjelm.
    Â»Ja«, sagte Andreas Becker und sah ihm tief in die Augen. »Vor den Agenten in Deckung gehen.«

47
    Ludmila Lundkvist fand das Leben wunderbar. Mit jeder Faser ihres Körpers liebte sie ihr neues Leben. Ihre Kindheit und Jugend hatte sie in der Sowjetunion verbracht, sie war ein Kind der Unterdrückung. Sie war einem schwedischen Mann begegnet, war über Finnland nach Schweden geflohen und hatte mit diesem Mann ein Leben aufgebaut. Der Mann war gestorben, und sie war allein. Und als es für alles im Leben zu spät zu sein schien, war dieser große sanfte Mann in ihr Leben gesegelt, und alles kam wieder ins Lot.
    Der Frühling in Venedig war mild genug, dass sie die Samstagsdämmerung, wenn auch unter den Gasflammen der Wärmeaggregate, im Freien auf dem Markusplatz verbringen und sich Bar-Jazz anhören konnten. Musikalisch gesehen, war es nicht besonders aufregend, aber das Gesamterlebnis war berauschend.
    Ludmila legte eine Hand auf ihren großen Draufgänger, und er umwickelte sie mit seinen Armen. Die unverfänglichen Harmonien schwebten davon und vereinigten sich mit den erleuchteten Fassaden der Markuskirche und des Dogenpalastes, und in der Ferne waren Boote und hier und da eine Gondel zu erkennen. Es war eine Art von Ansichtskartenperfektion, und es war angenehm, sich mitten darin zu befinden. Wenn auch nur als zufälliger Gast.
    In diesem Moment spürte Ludmila, wie Gunnar sich verwandelte. Der große Körper machte eine abrupte Verwandlung durch. Er wurde steif, hart, kantig. Sie sah ihn erstaunt an, aber in dem diffusen Dämmerlicht konnte sie nicht erkennen, ob sich auch sein Gesichtsausdruck verändert hatte. Aber etwas war passiert.
    Es war eine kurze Spiegelung. Gunnar Nyberg hatte mithalb geschlossenen Augen dagesessen und sich zu einem Bestandteil der Ansichtskartenidylle gemacht. Alles war gut. Überirdisch gut. Keine Störung weit und breit. Bis sich die Spiegelung zeigte. In dem spiegelblanken metallischen Wärmeaggregat neben ihrem Tisch tauchte ein Bild auf. Und verschwand wieder.
    Aber eine Luftspiegelung konnte es nicht gewesen sein. Das Bild war viel zu deutlich. Und rief viel zu deutlich die dunkelsten Teile in Gunnar Nybergs Vergangenheit zurück.
    Der kurz geschorene Schädel, der eisigblaue Blick mit dem Urzeitdunkel darin. Wie das Auge eines Hais.
    Es war völlig unwahrscheinlich.
    Und doch war es Wayne Jennings.
    Geheimagent und Berufsmörder.
    Sie hätten sich einmal beinahe gegenseitig umgebracht.
    Böses Blut kehrt wieder. Gunnar Nyberg spürte an Ludmilas Druck auf seinen Körper, dass sie die Veränderung bemerkt hatte. Sie war unglaublich sensibel, und die Veränderung war vermutlich so deutlich gewesen, dass keine besondere Sensibilität dazu gehörte, sie wahrzunehmen.
    Er musste die Situation wieder normal erscheinen lassen. Er versuchte, seine Muskeln wieder in die Ansichtskartenharmonie zu bringen, und sagte, so leichthin wie möglich: »Verdammt, mir tat plötzlich der Rücken so weh.«
    Â»Was ist?«, sagte Ludmila. »Ist was passiert?«
    Â»Ich weiß nicht, es ist vorbei«, sagte Nyberg. »Vielleicht der Ischiasnerv.«
    Â»Ist es wieder gut?«
    Â»Ja«, sagte er und legte den Arm um sie. »Es ist vorbei.«
    Aber beide hatten das Gefühl, jeder auf seine Weise, von der Ansichtskartenidylle heruntergerutscht zu sein. Oder zumindest am Rand der Ansichtskarte festzuhängen.
    Gedanken schossen wie Elektroschocks durch Nybergs Gehirn. Das war zu viel des Zufalls. Wayne Jennings konntenicht unabhängig von Gunnar Nyberg hier sein. Es hatte miteinander zu tun. Aber wie, zum Teufel? Hatte man ihn

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