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Totenmesse

Titel: Totenmesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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nicht glücklich gewählt vor. Nicht jetzt, da ringsumher diese Plastikpakete an den Wänden angebracht waren. Dynamex? Was zum Teufel war Dynamex? Eine Art Dynamit vermutlich, sicher bedeutend wirksamer als gewöhnliches Dynamit. Und sie sah etwas vor sich, was sie nicht sehen sollte, das war ihr klar, sie sah ihre Überreste nach dem Knall. Sie sah ihre Gedärme, sie sah ihre Leber an der verrußten Wand kleben, und sie sah ihr zermatschtes Gesicht. Die doppelte Projektion einer Schönheitsoperation. Kürzlich war da eine Frau, die höhere Wangenknochen haben wollte. Das ganze Gesicht lag aufgeschlitzt da, ein Arzt stocherte mit einem Stemmeisen in der breiigen Masse.
    Nein, nein, hör auf jetzt. Sie schloss die Augen, und das Fenster war wieder da. Es war, als wölbte es sich, um nichtdurchschaut zu werden. Sie sollte nicht sehen, was dahinter war. Oder vielleicht sollte sie gerade das. Und ihre Seele kämpfte dagegen. Weil sie nicht sterben wollte. Weil sie erkannte, dass der Anblick der Tod war. Und gerade als der Kampf sich einer Entscheidung zu nähern schien, gerade als die blanke Oberfläche sich zu glätten begann wie ein Foto des Todes, gerade da brach eine Stimme den Bann und zerstörte das Bild: »I wish to speak to the man in charge.«
    Der kleinere Maskierte saß im inneren Büroraum, den Telefonhörer in der Hand und den Blick auf seine Armbanduhr gerichtet.
    Und da spürte Cilla Hjelm einen heftigen Schmerz an ihrem Schenkel, ausgelöst von einer Fotografie des Todes, und er wurde zu einer Idee, die auf einmal vollkommen selbstverständlich war.
    Einige Sekunden später übertönte ihr Husten ein unscheinbares Klicken.

11
    Es schrillte sehr sonderbar in der kleinen Einsatzzentrale bei der Immobilienagentur auf der anderen Seite des Karlavägen. Es war kein gewöhnliches Klingeln, nicht der gewohnte elektronische Klang eines modernen Telefons. Es klang wie das Ticken eines uralten mechanischen Klöppels gegen hohles Metall, wie ein Anruf aus den Vierzigerjahren, wie ein alle Wahrscheinlichkeit überschreitendes Gespräch von einer Kriegszeit zu einer anderen.
    Die Expertengruppe hatte den Raum schon verlassen, das weibliche Duo Länspolizeipräsidentin und Kerstin Holm hielt auf der Schwelle inne, der Chef der Nationalen Einsatztruppe und Waldemar Mörner, die sich gerade erhoben, sanken zurück auf die Stühle. Und Jan-Olov Hultin, der am nächsten stand, blinzelte zum Reichskriminalchef hinüber, der sich mit der Hand über den kahlen Schädel fuhr und eine Grimasse zog.
    Ein zweites Klingeln ertönte. Es klang noch älter.
    Wie um nicht im neunzehnten Jahrhundert zu landen, drängte Paul Hjelm sich vor und nahm ab, bevor jemand anders reagieren konnte. »Yes?«, sagte er erregt.
    Die Stimme im Hörer sagte: »I wish to speak to the man in charge.«
    Hjelm legte die Hand über die Hörmuschel und sagte laut und deutlich: »Er will mit dem Chef sprechen.«
    Einen Moment war es still. Niemand bewegte sich.
    Paul Hjelm schüttelte ungeduldig den Hörer und flüsterte: »Wer verdammt noch mal ist der Chef?«
    Der Reichskrimchef wiederholte sein methodisches Glatzenstreichen und sagte: »Das kommt darauf an, wie man es sieht.«
    Â»Es ist ein verdammtes Glück, dass die Presse nicht hier ist«, sagte Hjelm.
    Widerstrebend ergriff der Reichskrimchef den Hörer, sah ihn eine Weile an und reichte ihn dann an Hultin weiter. »Verhandlungsführer«, sagte er.
    Bevor er die Hand ausstreckte, konnte Jan-Olov Hultin noch denken: Was für ein zweischneidiges Vertrauen, sie haben ein Jahr lang keinen Kontakt mit mir gehabt, wenn ich nun in der Zwischenzeit senil und verkalkt geworden wäre?
    Die haben ein verdammtes Glück, dachte er und riss den Hörer an sich. »This is chief inspector Jan-Olov Hultin.«
    Â»Are you the man in charge?«, fragte die Stimme missmutig. Weil der Polizeitechniker sich hereingeschlichen und den Lautsprecher angeschlossen hatte, war die Stimme für alle im Raum zu hören.
    Â»Yes«, sagte Hultin mit Nachdruck. »Was wollen Sie?«
    Â»Wir wollen mit dem Geld von hier weg. Wir haben neun Geiseln und in der ganzen Bank Sprengladungen angebracht.«
    Â»Das ist uns bewusst«, sagte Hultin. »Ich nehme an, Sie haben einen Plan.«
    Er legte die Hand über die Hörmuschel und flüsterte der Polizeipräsidentin zu:

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