Totenmesse
»Läuft die Evakuierung?«
Die Polizeipräsidentin hielt den Zeigefinger in die Höhe, während ihre Lippen lautlos die Worte âºeinen Augenblickâ¹ formten. Sie wandte sich ab und begann ein Gespräch über ihr Handy zu führen.
»Ja«, sagte der Bankräuber. »Wir haben einen Plan. Er sieht vor, mit dem Geld von hier fortzukommen, ohne dass halb Stockholm gesprengt wird und zahllose Menschen sterben.«
Hultin blickte fragend in den Raum. Der NE-Chef runzelte die Stirn und antwortete mit dem gleichen fragenden Blick.
»Sie haben also keinen Plan?«, fragte Hultin.
»Das genau ist der Plan«, erwiderte der Räuber.
»Jetzt verstehe ich nicht ganz«, sagte Hultin, der sehr wohl verstand. Und Hjelm und Holm verstanden auch, das sah er in ihren Augen. Kerstin Holm nickte leicht, sagte aber nichts.
Das tat hingegen der Bankräuber, in seinem leicht russisch gefärbten Englisch: »Wer versteht sich am besten darauf, Geiseln zu retten?«
Hultin schwieg.
Der Bankräuber fuhr fort: »Sie natürlich, die Polizei. Die schwedische Polizei. Sie sind nicht die russische Polizei, die gegen Räuber und Geiseln unterschiedslos Giftgas einsetzt.«
»Sie denken an die Tschetschenen im Dubrovka-Theater in Moskau letzten Herbst?«
»Wie angenehm, mit einem Polizeibeamten zu sprechen, der über Allgemeinbildung verfügt.«
»Das weià doch die ganze Welt.«
»Aber wie viele hätten Dubrovka gesagt?«
»Da hat er nicht ganz unrecht«, flüsterte Waldemar Mörner und wurde von einem halben Dutzend Menschen angezischt.
Hultin straffte seinen Pensionärsnacken und versuchte, die Initiative zu ergreifen. »Was exakt wollen Sie mir sagen?«
»Versuchen Sie nicht, Gas einzusetzen. Die Sprengladungen können im Bruchteil einer Sekunde gezündet werden.«
»Okay. Und was haben Sie sich vorgestellt?«
Der Bankräuber lieà ein schwaches Kichern hören. »Das wissen Sie sehr gut, Hultin.«
Nicht Ã
lltin, nicht Hältinn, dachte Hultin. Perfekte schwedische Aussprache.
»Ich möchte es gern von Ihnen hören«, sagte er.
Der Räuber hob seine Stimme ein wenigund sagte überaus deutlich: »Unser Plan ist, dass die Polizei uns einen Plan liefert.«
Hultin sah sich im Raum um. Der NE-Chef vollführteeine Geste mit der Handfläche vor dem Hals. Die Vergisses-Geste. Im besten Fall. Im schlechtesten: die Todesgeste.
»Das hört sich optimistisch an«, sagte Hultin vorsichtig.
»Sie sind diejenigen, die sich damit auskennen.«
»Wir kennen uns auch damit aus, Verbrecher zu fassen.«
»Haha«, lachte der Bankräuber und fuhr mit einer Ãnderung der Argumentation fort: »Politisch gesehen, ist einzig und allein wichtig, dass die Geiseln überleben und dass die feinen Gebäude stehen bleiben. Sie wollen doch wohl nicht, dass Strindbergs Esplanadensystem gesprengt wird? Denken Sie sich eine Methode aus. Sie können überlegen, während Sie evakuieren. Sind Sie übrigens bald fertig damit?«
Hultin blickte zuerst aus dem Fenster â auf der anderen Seite des Karlavägen sah er Menschen, die, von uniformierten Polizisten angeführt, aus dem Viertel strömten. Dann erst wandte er sich der Polizeipräsidentin zu, die krampfhaft alle zehn Finger hochhielt.
»Ja, bald«, sagte Hultin.
»Gut«, sagte der Bankräuber und legte auf.
Im gleichen Augenblick piepte es zweimal. Hultin war nicht der Einzige, der die Augenbrauen hochzog. War es das Piepen, das man hört, unmittelbar bevor hundert Kilo Dynamex explodieren?
Paul Hjelm begann wie wild an seinem Körper herumzutasten, über alle Innen- und AuÃentaschen seines eleganten Mantels, alle Taschen des Armani-Anzugs. SchlieÃlich fand er sein Handy, starrte auf das Display und schüttelte verzweifelt den Kopf. »Was ist denn das jetzt?«, sagte er laut.
Kerstin Holm trat neben ihn. »Du hast eine MMS bekommen«, sagte sie sachkundig.
»Und was zum Teufel ist das?«, sagte Hjelm nicht ganz so sachkundig.
»Multimedia Messaging Service, im Unterschied zu Short Message Service, SMS. Eine MMS kann Bilder, Grafik oder Ton enthalten.«
Der Reichskrimchef wandte sich von dem technisch ungleich versierten Paar ab und klatschte in die Hände. »Versuchen wir dann, uns so schnell wie möglich im Konferenzraum einzurichten?«
»Wie schnell
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