Totenmesse
zu ihm hoch und spürte, wie sein Blick, diese isolierten, schmalen grauen Augen im Schwarz der Maske, sich in sie einfraÃ. Sie sah auf die Maschinenpistole und dachte: Schlägt er mich jetzt damit, wird mein Gesicht verunstaltet, sodass ich in der plastischen Chirurgie meine eigene Kundin werde? Sie schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, war er fort.
Nach einer halben Minute kam er zurück, doch nur, um an der Tür vorbeizugehen, und vor sich her schob er einen gut gekleideten Bankangestellten in mittleren Jahren. Sie kamen in den Büroraum, sie sah sie aus dem Augenwinkel, und der kleinere Bankräuber sagte: »We need to get into the vault. Key, please.«
Der Bankmann stand reglos da. Als verstünde er kein Wort. Vielleicht hat auch er die Sprache verloren, dachte Cilla. Aber schlieÃlich reichte er dem Räuber einen Schlüssel. Wahrscheinlich hatte er innerlich die Anweisungen zu Rate gezogen.
»Thank you«, sagte der Kleinere und nickte seinem Kollegen zu, der den Bankmann wieder an seinen Platz zurückbrachte.
Der Bankdirektor, dachte Cilla.
Gab es denn noch Bankdirektoren?
Der GröÃere kam zurück, holte bei dem Kleineren den Tresorschlüssel und eine Schultertasche und kehrte mit der gefüllten Tasche zurück. Die Prozedur wurde wiederholt.
Sie füllten Taschen mit Geld. Cilla dachte erneut: Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Vielleicht doch ein gutes Zeichen. Vielleicht sogar ein Zeichen dafür, dass sie überleben wollen, dass sie keine Terroristen sind, keine Selbstmordattentäter, die wissen, dass sie ihre Belohnung im Jenseits erhalten. Anderseits setzte das Geld vielleicht das Leben der Geiseln aufs Spiel.
Sie suchte nach Zeichen. Es war eine Art zu überleben. Was taten die Bankräuber eigentlich? Welchen Zweck verfolgten sie? Warum hatten sie nicht einen ganz normalen Ãberfall begangen: schnell rein, schnell raus, schnell weg?
Zeit verging. Das Telefon klingelte nicht mehr. Warum nicht? Hatten die Bankräuber den Kontakt zur AuÃenwelt abgebrochen? Oder hatte die Polizei aufgehört anzurufen? Eher Letzteres â sie hatte nicht gesehen, dass die Räuber Leitungen gekappt hatten. Wenn sie sich mehr für die Arbeit ihres Exmanns interessiert hätte, dann verstünde sie jetzt vielleicht, warum das Telefon nicht mehr klingelte. Sie konnten doch nicht aufgegeben worden sein. Obwohl es sich genau so anfühlte: als wären sie allein im Universum.
Sie schielte zu Barbro hinüber, die aufgehört hatte zu weinen und in einen komaartigen Zustand eingetreten war. Vielleicht hatte sie doch nicht ganz unrecht? Vielleicht war es kein Zufall, dass dieser Einbruch am selben Tag geschah, an dem der Irakkrieg begonnen hatte? Und sie versuchte, sich ihre Reaktionen vom Morgen in Erinnerung zu rufen, als sie die Bomben hatte fallen sehen. Nicht schon wieder, war ihre erste Reaktion gewesen. Nicht noch eine Vergeltungsaktion gegen die arabische Welt für den 11. September. Nicht noch einen Ãlkrieg. Dann: Der Irak ist ein riesiges Land, mehr als zwanzig Millionen Menschen leiden unter der Willkür eines grauenhaften Diktators, ist es nicht gut, wenn er verschwindet? Wer bist du, um ihnen ihre Freiheit abzusprechen?
Als ob das eine Rolle spielte. Hier und jetzt. Jetzt ging es nur um eines, lebend hier herauszukommen. Als hätte der groÃe Krieg einen kleinen Ableger in Stockholm.
Sie dachte darüber nach, wer sie war. Cilla Hjelm. Keine Staffagefigur mehr. Im Gegenteil. Im Mittelpunkt des Geschehens. Aber auch eine Frau ohne gröÃere Interessen im Leben, ohne Visionen und Hoffnungen, erstarrt, träge.
Warum denke ich so? Warum denke ich Pauls Gedanken?
Paul. Ein Bild. Ein Gesicht.
Und warum denke ich an ihn?
Ein anderes Bild.
Ein Fenster.
Ein Fenster von auÃen.
Drinnen Bewegungen. Wie in einer Fruchtblase. Etwas Halbdurchsichtiges, das sich dehnt und wölbt. Etwas, was hinauswill. Ins Freie.
Warum jetzt? In dieser eigentümlichen Situation? Cilla lag auf dem Boden, die Bankräuber kaum zehn Meter links von ihr, schräg durch den Türspalt zum hinteren Büroraum sichtbar, und sie bewegten sich durch ihr Gesichtsfeld, herein und wieder hinaus, mit leeren Taschen nach links und mit zum Bersten gefüllten Taschen nach rechts.
Zum Bersten gefüllt? Auch wenn es ihr gelang, das aufdringliche Bild des sich wölbenden Fensters wegzuschieben, kam ihr das Wort
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