Totenmesse
genau, wo sich die vier übrigen Geiseln befanden, aber sie vermutete, dass sie auf die Boxen verteiltwaren, in denen das Bankpersonal VIP-Kunden empfing. Sie sah, dass in dem gröÃeren Büroraum keine Geiseln waren, dort saÃen die Bankräuber und suchten in ihren Taschen. Dort wollten sie allem Anschein nach ungestört sein. Immer wieder schickte der Kleinere den GröÃeren auf Kontrollgänge durch die Räume. Er legte seine Maschinenpistole nicht aus der Hand.
Sie hörte, wie der Kleinere der beiden Räuber den Telefonhörer aufnahm und in gebrochenem Englisch sagte: »We are holding nine people hostages, and we have two hundred pounds of dynamex.«
Unbestimmte Zeit später klingelte eines der Telefone. Sie sah, wie die Maskierten das Telefon betrachteten. Der Kleinere schüttelte den Kopf. Der GröÃere nickte. Dann klingelte es in regelmäÃigen Abständen. Die Bankräuber antworteten nicht, sie schienen auf etwas zu warten. Einmal ertönte ein Megafon von Karlavägen. Die Bankräuber wurden aufgefordert, sich am Telefon zu melden, und informiert, dass sie nur den Hörer abzunehmen bräuchten, wenn sie mit der Einsatzleitung der Polizei in Verbindung treten wollten.
Der Krieg im Irak hatte am selben Tag begonnen, und Cilla fragte sich, wie die schwedischen Medien ihr Interesse auf die beiden Ereignisse verteilen würden. Denn dies hier musste eine groÃe Sache sein. Nicht dass sie Expertin für Sprengstoff war, aber âºtwo hundred pounds of dynamexâ¹ klang nach ziemlich viel. Ein wie groÃer Teil von Stockholm würde zusammen mit Cilla Hjelm durch die Sprengung in die Luft fliegen?
Sie dachte an Norrmalmstorg â der Platz lag nur ein paar Minuten FuÃweg entfernt. Das Drama von Norrmalmstorg war eine fünf Tage dauernde Geiselnahme in Sveriges Kreditbank zwischen dem 23. und 28. August 1973 gewesen. Damals hatte das Phänomen Stockholmsyndrom seinen Namen und seine Definition bekommen: Geiseln identifizierten sich mit ihren Kidnappern und verteidigten sie gegendie böse AuÃenwelt. Sie warf einen Blick auf die beiden maskierten Männer und dachte, dass viel passieren müsste, ehe sie anfinge, sich mit ihnen zu identifizieren.
Es kam ihr vor, als wäre jeder Körperteil eingeschlafen, und sie drehte sich ein wenig und blickte sich im Raum um. Es war, als gäbe es erst jetzt ein Vorher und ein Nachher. Zuerst sah sie zu den beiden Bankräubern im Büroraum, danach sah sie ihre Leidensgenossen zwischen den BankschlieÃfächern an. An den beiden Seitenwänden waren zwei Pakete befestigt, eines an der rechten und eines an der linken. Es waren fast durchsichtige Plastikpakete, die irgendwie oberhalb der SchlieÃfachreihen angeklebt waren, und sie erkannte die Konturen von gelblichen Dynamitstangen.
Oder Dynamexstangen.
Die beiden gut gekleideten Bankangestellten, die an der hinteren Wand des Raums festgezurrt waren, schienen nahezu teilnahmslos â als folgten sie den Anweisungen eines Handbuchs für den Fall eines Ãberfalls. âºVerhalten Sie sich passiv. Dann haben Sie eine Chance.â¹
Die Frau, die ihr am nächsten saÃ, war dagegen nicht im Geringsten passiv. Sie war vielleicht fünfundsiebzig, eine typische Ãstermalmdame mit einem einstmals glänzenden sozialen Leben, jetzt aber vom Leben allein gelassen. Wahrscheinlich mehrfache Mutter und Hausfrau, später Witwe eines Geschäftsmanns. Ohne finanzielle Probleme, aber auch ohne einen Lebenssinn. Es mochte ein Vorurteil sein, aber Cilla Hjelm sah es oft genug, um auch hier davon auszugehen. So sah ein groÃer Teil ihres Kundenkreises aus. Sie hatte ja inzwischen eher Kunden als Patienten.
Die Frau weinte still, und als Cilla ihren Blick festhielt, flüsterte sie: »Entschuldigen Sie.«
Cilla fühlte, wie sie die Stirn runzelte. Die Dame fuhr fort: »Ich habe mich vollgepinkelt. Entschuldigen Sie.«
»Aber mein Gott«, flüsterte Cilla zurück. »Dies ist eine Extremsituation. Ich selbst habe die Sprache verloren.«
»Ich heiÃe Barbro«, flüsterte die Dame. »Glauben Sie, dass wir sterben müssen?«
»Nein«, log Cilla. »Nicht, wenn wir die Ruhe bewahren.«
»Glauben Sie, dass es Al Kaida ist? Hat es mit Saddam zu tun?«
»Shut the fuck up!«
Und da war er, der GröÃere der beiden Maskenmänner, nur einen Meter von ihr entfernt. Sie sah
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