Totenmesse
sieht â sondern als eineVersöhnungsgeste Auge in Auge mit dem Tod. Aber sehe ich es so?
Es kann natürlich Zufall sein. Es kann sein, dass meine Nummer zufällig auf ihrem Handy auftauchte, dass es die erstbeste Nummer war. Aber war es dann wirklich Zufall? Ich sehe, dass ich rational und analytisch werde â genau das, was sie am meisten gehasst hat: wenn sie das Gefühl bekam, dass ich von oben herab zu ihr sprach. Wenn ich nur verstände, was sie wollte. Eigentlich.
Denn die beiden Nachrichten dienen ganz unterschiedlichen Zwecken â die erste, die SMS, war ein Hilfeschrei; die zweite, die MMS, war das genaue Gegenteil â sie kam von einer Frau, die ihr Leben zurückerobert hat und sagt: Ja, ich kann euch helfen.
Ich frage mich, ob ich, Paul Hjelm, überhaupt mit der Sache zu tun habe.
Ich frage mich, ob ich, Paul Hjelm, jemals etwas mit Cillas Leben zu tun gehabt habe.
Wie rational und logisch die Anweisungen erklären, ohne dass es in Cillas Augen kalt erscheint? Einfach â und trotzdem so, dass klar wird, wie wichtig sie ist.
âºEin paar Aufgabenâ¹? Nein. Zu schulmeisterlich. Besser vielleicht ein paar wichtige â Aufträge?
»Was hältst du von âºEin paar Aufträgeâ¹?«, fragte Paul Hjelm.
»Mit Doppelpunkt und danach erstens, zweitens, drittens.«
Kerstin Holm sah, wie die Bilder auf ihn einstürmten, all die Bilder eines langen gemeinsamen Lebens â und gleichzeitig sah sie deutlich, wie er versuchte, dies alles mit Rationalität und gesundem Menschenverstand zurückzudrängen. Doch der gesunde Menschenverstand lag ihm zurzeit denkbar fern.
Und ich selbst? Ahne ich in meiner unerwarteten Gelöstheit eine Messerspitze Schadenfreude? Während ich michmit der A-Gruppe dumm und dämlich geschuftet habe, ist bei ihm alles wie geschmiert gelaufen. Er hat sich reibungslos in einen unverbrauchten, alleinstehenden und überaus gut bezahlten höheren Beamten mit häufig wechselnden Partnerinnen verwandelt.
Er altert mit Behagen, ich mit Unbehagen.
Dies hier geschieht ihm recht.
Die Vergangenheit schlägt zurück.
»Vielleicht so«, sagte Kerstin Holm: »âº1. Wie wird der Sprengstoff gezündet?â¹Â«
Kerstin, du gehst in Cilla über, und ich glaube, dass du es merkst. Ich sehe deinen Blick dunkler werden. Oder ist es nur meine Phantasie â vielleicht mein Wille?
Cilla, ich höre aus dem Inneren der Bank das Schlagen deines Herzens. Ich fühle deinen Schmerz. Aber kann ich es wirklich? Ist es überhaupt möglich, auch nur zu ahnen, was du fühlst?
Aber ich kann auf jeden Fall ahnen, was du siehst.
»âº2.â¹Â«, sagte Paul Hjelm. »âºWie viele Räuber sind es?â¹Â«
Ich weià nicht, ob du überhaupt fähig bist, dich schuldig zu fühlen, dachte Kerstin Holm. Du rückst Cilla in ein positives Licht und vergisst das Dunkel, vor dem du geflohen bist. Sie ist die Lebensklügere von euch beiden, und mit dieser Klugheit konntest du nicht umgehen. Du hast geglaubt, dein Denken könnte das Grau des Alltags verändern. Aber sie hat dieses Grau bewohnt und es sich zu eigen gemacht. Du willst mehr Farbe. Du willst die Farben der Welt selbst wählen. Das ist deine Stärke und deine Schwäche, Paul. Und nie wirst du dich hineinversetzen können in das, was sie da drinnen in dem Pulverfass empfindet. Aber du wirst glauben, du tätest es.
»âº3.â¹Â«, sagte Kerstin Holm. »âºKannst du eine Nahaufnahme des Ventils über dem Schreibtisch mit dem Telefon machen?â¹Â«
Ein bisschen lang vielleicht, dachte Paul Hjelm. Das kann ich besser.
Denn so denke ich immer.
Woher kommt sie, die Vorstellung, der Beste zu sein?
Habe ich Cilla da hineingebracht?
Hätte ich sie nicht verlassen, säÃe sie nicht als Geisel da drinnen, Waffen auf sich gerichtet und von Sprengstoff umgeben. So viel ist klar.
»âº4.â¹Â«, sagte Paul Hjelm. »âºKannst du mehr Bilder machen?â¹ Und eine Schlusswendung. Was hältst du von âºHalte durch. Paulâ¹?«
âºHalte durchâ¹, dachte Kerstin Holm, und Zärtlichkeit durchströmte sie. Ich denke an dich, Paul, als du vor undenklichen Zeiten dieses Mal auf der Wange bekamst, den roten Fleck, der wuchs und wuchs und bald dein ganzes Gesicht zu bedecken drohte. Aber er hörte auf zu wachsen, er bekam die Form
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