Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Totenmesse

Titel: Totenmesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
betrogen hatte, sollte er der Exfrau ›ein paar Trostworte‹ zukommen lassen. Jetzt betrog er sie auf ganz andere Art und Weise. Es war pervers.
    Kerstin saß auf der anderen Seite des Schreibtischs und versuchte, ihre Gesichtszüge zu ordnen. Wie bedauernd musste sie aussehen? Wo verlief die Grenze zwischen echtem, falschem und gar keinem Mitleid? Und von der Totenmesse, die in seinem Kopf dröhnte, dass es ihm so vorkam, als sollten ihm die Trommelfelle platzen, hörte sie nicht einen Ton.
    Und sie hatten sich einmal so nahegestanden, dass die Grenze zwischen ihren Gedanken beinahe verwischt war.
    Und jetzt – wann war die Mauer zwischen zwei Menschen dicker gewesen?
    Kerstin. Er blickte in ihre Augen. Diese dunklen, lebhaften Augen in dem zarten, von fast schwarzem Haarim Pagenschnitt umrahmten Gesicht. Alles, was dahinter war.
    Diese Augen, denen es gelungen war, nicht hart zu werden.
    Sich vorzustellen, wir wären es geworden. Es war so nahe daran gewesen. Wie sähe mein Leben dann aus?
    Er sollte nicht an Kerstin denken.
    Doch wenn er ernsthaft an Cilla in der Bank denken sollte, redete er sich ein, wenn er sich in sie hineinversetzen und mit ihr in Kontakt treten wollte, musste er den Umweg über einen anderen Menschen nehmen, der ihm einmal – einmal – fast ebenso nahegestanden hatte. Oder näher?
    Nein. Nicht näher. Cilla. Unsere langen Jahre zusammen. Unser gemeinsames Leben. Zwei nahezu erwachsene Kinder, Danne und Tova. War es überhaupt ein gemeinsames Leben gewesen? Hatten sie nicht in zwei vollständig verschiedenen Welten gelebt? Aber wir haben uns geliebt, was immer das eigentlich bedeutet.
    Aber haben wir einander jemals erkannt?
    Â»Fangen wir mit ›Cilla‹ an?«, fragte Paul Hjelm.
    Wer bist du?, dachte Kerstin Holm. Wir leben nebeneinander, wir berühren einander, wir sprechen miteinander, wir sehen uns in die Augen, aber wir bleiben Fremde. Und das ist unser unausweichliches Los.
    Ich stehe morgens vor dem Spiegel, dachte sie. Und du, mein Sohn, stehst neben mir. Ich sehe, wie ähnlich wir uns sind. Ich sehe, dass wir gemeinsame Gene haben. Dein Lächeln ist meins. Meins ist deins. Wir sind einander so nahegekommen. Und trotzdem weiß ich nie, niemals, niemals wirklich, was du denkst, fühlst, empfindest.
    Und du, Paul, wer bist du? Einmal hast du meine Schutzwälle überwunden. Du warst der Erste, der meine ganze Wahrheit bekam, die ganze dunkle Wahrheit, soweit sie mir damals zugänglich war, und sie hat dich nicht abgestoßen.Und dennoch zeigte sich, dass es nur ein Bruchteil der Wahrheit war.
    Dann ging es nicht weiter, Paul. Warum ging es nicht weiter, Paul? Zu kompliziert? Du sitzt da in deinem Armani-Anzug und deinem ganzen neuen freien Leben und bist derselbe. Du bist derselbe Mann, der all diese Jahre meine Seele okkupiert hat. Ich scheine dir nicht entgehen zu können, ich will dir nicht entgehen. Du bist eine Sicherheit in meinem Leben. Aber was sind meine Gefühle für dich? Ganz im Innersten?
    Sie dachte: Ich bin genauso verwirrt und allein wie Cilla in der Bank. Ich will mit dem Leben davonkommen, das ist alles. Frei atmen. Luft. Ich liege auf dem Fußboden des Tresorraums und blicke in den nur wenige Meter entfernten Büroraum. Und ich verstehe nicht, was die Bankräuber wollen, diese gesichtslosen Männer, warum sie eingedrungen sind in mein Leben. Da liege ich und fingere an meinem Handy und sehe ein, dass es die Welt beinhaltet, durch das Handy kann ich noch immer an die andere Wirklichkeit rühren. Ich habe Kontakt aufgenommen zu dem Menschen, der mir im Leben am nächsten gestanden hat, der mich so schwer hintergangen hat (wie ich ihn freilich auch hintergangen habe), und meine Versöhnungsgeste verhallt im Nichts. Mit jeder Sekunde fühle ich mich einsamer und einsamer. Es dauert nicht mehr lange, bis die Welt um mich her zerbricht und ich vollständig einsam bin und bleibe – in alle Ewigkeit.
    Â»Es muss anfangen mit ›Ich bin bei dir‹«, sagte Kerstin Holm.
    â€ºIch bin bei dir‹, dachte Paul Hjelm. Trostworte. War ich jemals ›bei dir‹? Wird es ihr etwas bedeuten? Ist es nicht eher ein Hohn als ein Trost? Nein, sie hat die SMS immerhin an mich geschickt. Es war natürlich logisch, weil ich Polizist bin, aber war das alles? War die Handlung damit erschöpft? Ich weiß, dass Kerstin es nicht so

Weitere Kostenlose Bücher