Totenmesse
von Männern und Frauen der Suche nach Frieden zuzuführen.
Das ist die Zukunft, die wir wählen. Freie Nationen haben die Pflicht, ihr Volk zu verteidigen, indem sie sich gegen Gewalttätigkeit vereinigen. Und heute Abend, so wie wir es schon früher getan haben, stehen Amerika und seine Alliierten zu dieser Verantwortung.
Gute Nacht, und möge Gott Amerika auch in Zukunft segnen.«
16
Freitag, den 5. Dezember 1941,
elf Uhr am Abend
Poltawa. Was für ein Elend.
Als ich zuletzt geschrieben habe, war Mittsommer. Jetzt ist bald Weihnachten. Und das Einzige, was sicher ist, das ist die Tatsache, dass wir alle frieren. Es heiÃt, dass der Führer sich weigert, das Wort Winterkriegsführung in den Mund zu nehmen.
Seltsamerweise ist er jetzt hier. Er kam vorgestern. Ich habe ihn gesehen. Es war das erste Mal, dass ich ihn gesehen habe. Wahrscheinlich auch das letzte Mal. Man sollte wohl vor Ehrfurcht erbeben, aber unsere Körper reagieren nicht mehr so, nicht nach den Strapazen des letzten halben Jahres.
Er und Generalfeldmarschall von Rundstedt saÃen auf einem Sofa im Hintergrund, als ich, die Ordonnanz, beim Stab war, um einen Brief abzuliefern. Er warf einen Blick auf mich, ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Ich verhielt mich so, wie es sich für Ordonnanzen gehört: Man tut, als existierte die Umgebung nicht. Als sähe man nichts, hörte nichts, und vor allem, als könnte man nichts sagen.
Hitler in Poltawa.
Sein Blick war schwer, und seine Schultern waren abgesackt, als lastete die ganze Welt auf ihnen. Vielleicht dachte er an das Widersinnige in der Situation: ein Winterlager in Poltawa, wo Karl XII, der Erste, der Russland in moderner Zeit angriff, im Jahre 1709 zurückgeschlagen wurde. Doch wahrscheinlich nicht. Aber es geht irgendetwas vor â ich frage mich, ob die6. Armee nicht einen neuen Befehlshaber bekommt. Die Unzufriedenheit breitet sich aus.
Am Anfang ging es gut, an allen Flanken der Operation Barbarossa. Die Heeresgruppe Nord rückte schnell auf Leningrad vor, die Heeresgruppe Mitte arbeitete sich mit erstaunlich hohem Tempo in Richtung Moskau voran, und wir selbst, die Heeresgruppe Süd, waren in bester Stimmung, als wir am 21. September Kiew einnahmen. âºDer gröÃte Tag der Weltgeschichteâ¹, wie Hitler bescheiden erklärte. Es kam uns so vor, als wäre die Ukraine schon unser, als wäre der Weg zu den Ãlquellen im Kaukasus bereits geebnet.
Aber andere sagen, Hitlers Truppenverlegungen von Norden nach Kiew hätten die Möglichkeiten, Moskau einzunehmen, zunichte gemacht. Dass wir, als wir in unserem blinden Rausch Kiew einnahmen, zugleich den Weg in den Untergang angetreten hätten, wie Napoleon. Moskau würde nicht eingenommen werden.
Doch vielleicht sind das nur Unkenrufe.
Auch wir in der Heeresgruppe Süd wurden zum Rückzug gezwungen. Am 19. November, vor nur ein paar Wochen, musste sich unsere vorgeschobene Spitze, von Kleists erste Panzerarmee, aus Rostow-na-Donu zurückziehen. Sie eroberten die Brücke über den Don, das letzte Hindernis vor dem Kaukasus, wenn man von Kleinigkeiten wie der Wolga und Stalingrad absieht. Aber Timoschenko reagierte schnell und drängte von Kleist wieder zurück.
Es war die erste deutsche Rückzugsbewegung des ganzen Krieges.
Doch für mich spielt das alles keine Rolle mehr. Ich frage mich nur, ob wir den Winter überleben. Den Winter in Poltawa. Dieses endlose Land, der endlose Lehm. Alles ist nass, klamm, schlammig, und bald kommt der Winter ernstlich. Es wird sehr schwer werden.
Und wir haben den Iwan unterschätzt. Wir waren der Meinung, der russische Soldat wäre faul und feige, jadurch Drill seelen- und willenlos. Aber wie sie kämpfen! Und in welchen Massen sie geopfert werden! Es ist erschreckend. Um gar nicht von der Zivilbevölkerung zu reden. Wir plündern frei drauflos. Und wir misshandeln, vergewaltigen, erniedrigen. Wenn wir eines nicht mitbringen, wir kultivierten Europäer, dann ist es Zivilisation.
Ich beteilige mich nicht, es ist klar, dass ich nicht mitmache, aber ich tue auch nichts dagegen. âºDie Wehrmacht ist nicht der Nationalsozialismus.â¹
Mir ist unentwegt übel.
Vierundzwanzig Stunden am Tag ist mir übel.
So viele Menschen um mich herum, und keiner ist mehr ein Mensch. Opfer, Henker, alle haben ausnahmslos ihre Menschlichkeit verloren.
Ich hatte mir vorgenommen, mich diesem Tagebuch
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