Totenmesse
nie wieder zuzuwenden, aber zu schreiben bedeutet, sich seiner Menschlichkeit zu erinnern. So wie sie einmal aussah.
Nur deshalb schreibe ich. Um mich daran zu erinnern, dass ich einmal ein Mensch war.
Ich denke auch an die Hunde. Die Kameraden von den Panzerdivisionen haben von ihnen erzählt. Plötzlich kamen russische Hunde auf ihre Panzer zugelaufen. Es sah lächerlich aus, sie lachten über die absurden Biester mit grotesken Gürteln um den Körper und einer Antenne, die in die Luft ragte. Man hielt es für einen Scherz, russischen Galgenhumor. Aber in Wirklichkeit waren es nach Pawlow gedrillte Hunde, die gelernt hatten, ihr Fressen unter groÃen Fahrzeugen zu suchen. Wenn sie unter die Panzer liefen, schlug die Antenne gegen die Unterseite der Panzer, und die Gürtel mit Sprengstoff wurden gezündet.
Pawlows Hunde als lebende Bomben.
Was mich am meisten beschäftigt, ist der Treibstoffverbrauch. Im Krieg werden Unmengen fossiler Brennstoffe verschleudert. Diese Panzer- und Fahrzeugkolonnen, ganzzu schweigen von den enormen Flugstrecken der Luftwaffe. Um ans Ãl zu gelangen, verbrauchen wir noch mehr Ãl. Vielleicht ein Bild unserer Zivilisation.
Wir kämpfen jetzt schon ums Ãl. Wie wird es erst aussehen, wenn die Reserven zu Ende gehen? Wie werden die Kämpfe dann aussehen? In hundert, vielleicht nicht mehr als fünfzig Jahren?
Hätte ich nur meine Forschung weiterführen können. Anfangs war sie mir nahezu abhandengekommen, da gab es nur das Jetzt, den Kampf, das Ãberleben, doch je stärker die Luft gesättigt ist von Kohlenwasserstoffen und fossilen Restprodukten, desto deutlicher dringt meine Forschung mir wieder ins Bewusstsein.
Der Rest dieses Jahrhunderts muss anders werden. Ich kann ihn ändern. Wenn ich Zeit bekomme.
Wenn ich den Winter in dieser Hölle von Schnee, Eis, Nässe und Schlamm überlebe.
Wenn ich Poltawa überlebe.
Zu denken, dass ich dich eines Tages kennenlernen kann, mein Sohn.
Ich schreibe für dich.
Damit du nie deine Menschlichkeit verlierst.
17
Sie hoffte, es sähe aus, als ob sie betete. Denn sie betete nicht. Zu wem sollte sie beten? Vielleicht war dies der geeignete Moment, sich einen Gott zu erfinden.
Um ihn schnell in den Teufel zu verwandeln.
Die Bankräuber bewegten sich nicht besonders viel. Und sie sprachen noch weniger. Sie machten immer seltener ihre Drohrunden bei den Geiseln, immer seltener war eine Maschinenpistole auf sie gerichtet. Dann und wann blickte der Kleinere auf die Uhr. Sie sah ihre Augen â es wäre leicht, ihre Blicke kühl zu nennen, allzu leicht. Entschlossen vielleicht. Eine gefühlsneutrale Entschlossenheit.
Nein, Cilla Hjelm betete nicht, aber sie saà im Schneidersitz und mit gefalteten Händen, um das Handy auf dem FuÃboden zu verbergen. Warum dauerte es so lange? Hatte Paul sein Handy zu Hause vergessen? War es ausgeschaltet? Verzweiflung beschlich sie, sie hatte sie erwartet, hatte den Augenblick vor sich gesehen, in dem sie vollständig allein war. Wie Barbro. Die alte Dame lag auf allen Vieren neben ihr und zitterte wie Espenlaub. Cilla hatte versucht, sie in eine bessere Lage zu bringen, doch sie riss sich immer wieder los und bestand auf einer ungesunden Position, den Kopf nach unten. Als erinnerte das an etwas Sicheres.
Die alte Dame bemerkte jedenfalls nichts. Dagegen war Cilla sich nicht sicher, was den Bankangestellten hinter ihr zwischen den Bankfächern betraf. Die junge Frau schien in einen Halbschlaf versunken zu sein, einen Halbschlaf, wie ihn die Anleitung für Bankpersonal im Fall eines Ãberfalls empfiehlt. Doch der Bankangestellte starrte sie unverwandt an. Würde er etwas Dummes tun? Früher oder später musste er entdecken, dass sie ganz und gar nicht betete. Würdeer versuchen, sich bei den Bankräubern Pluspunkte zu verschaffen?
Nein, dachte sie.
Nein, es kommt keine Nachricht. Er hat sie nicht bekommen. Es war eine alte Handynummer, es gibt gar keinen Empfänger mehr.
Ich werde hier sterben.
Das seltsame Gespräch des kleineren Räubers mit der Polizei â¦Â Hatte sie nicht den Namen Hultin gehört? Aber war es nicht mindestens ein Jahr her, dass Pauls alter Chef Jan-Olov Hultin in Pension gegangen war? Warum redete der Bankräuber mit Hultin? Wenn er für diesen Sondereinsatz wieder einberufen worden war, dann musste Kerstin an seiner Seite sein, aber sicher auch Paul.
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