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Totenmesse

Titel: Totenmesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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es so weit war.
    Der Raum war von rauchähnlichem Staub erfüllt. Wie ein Schlachtfeld in Kriegstagen. Der Mann mit der Uhr legte die Hacke auf den Fußboden und ging hinüber zum Laptop auf dem Schreibtisch. Er klappte ihn auf und wartete auf die Bildschirmdämmerung.
    Zwei Klicks, ein paar Kodes, und er war am Ziel.
    Er kniete nieder, zog die Arbeitshandschuhe aus, streifte den Mundschutz ab und wischte mit der Fingerspitze über das Zifferblatt. Der Sekundenzeiger lief, wie er es schon seit fünfundvierzig Jahren tat. Mit gleichbleibender Präzision.
    Es war 13:44:50. Der Mann mit der Uhr holte tief Atem und hielt ihn an.
    Fünf Sekunden noch, dachte er und zählte laut.
    Â»Vier, drei, zwei, eins.«
    Â»Null«, sagte er und drückte auf Enter.
    Er ließ den fadendünnen Sekundenzeiger bis zur Hälfte der rechten Seite des Zifferblatts laufen, bevor er ausatmete.
    Arbeit und Kapital, dachte er und lächelte schief.
    Zeit, an die Arbeit zurückzukehren.

    Zu ihrer eigenen Verwunderung hatte sie neun Aufnahmen gemacht. So im Nachhinein kam es ihr dummdreist vor, fast selbstmörderisch. Aber getan war getan, jetzt ging es nur darum, die besten auszusuchen. Die Lage war gut. Der große Bankräuber hatte sich dem kleinen gegenüber auf den Schreibtisch gesetzt, und zum ersten Mal sah sie deutlich, dass der Kleine lächelte; der untere Teil der Mütze mit den Sehschlitzen spannte sich. Ihre behandschuhten Hände trafen sich plötzlich in einem Triumphklatschen.
    Das Geld ist euch scheißegal, dachte sie überrascht.
    Während sie die Fotos durchblätterte, dachte sie: Warum haben sie keinen Plan? Was sollte das heißen, dass ›die Polizei den Plan liefern‹ soll?
    Vier der Bilder waren Nieten: Decke, Bankfächer, sogar eine Kniekehle. Aber fünf schienen akzeptabel, verschiedene Ansichten aus der Bank, ziemlich schief und verkantet, aber für die Polizei vermutlich brauchbar.
    Etwas wuchs in ihr. Die Taschen mit dem Geld. Wares überhaupt nicht beabsichtigt, sie mitzunehmen? War es im Gegenteil beabsichtigt, sie zu – sprengen? Geldscheinasche über Östermalm herabregnen zu lassen, zusammen mit Fleischresten?
    Um zu verhindern, dass der warme, farbsprühende, christliche Blick des größeren Räubers sich in einen Fanatikerblick, einen Extremistenblick verwandelte, begann sie, den noch unerledigten ›Auftrag‹ in Angriff zu nehmen. Sie betätigte die Zoom-Taste der Handykamera und wählte eine Einstellung, die ihr gut zu sein schien. Aber ihr Herz schlug so heftig, dass ihr Arm bei jedem Herzschlag zuckte. Sie warf einen Blick zu dem Bankmann hinüber, der wahrhaftig ›Idiotin!‹ flüsterte und ihr obszöne Zeichen machte, aber ihr Blick gehörte ihr nicht mehr, er wollte etwas anderes sehen.
    Ein Foto des Todes selbst.
    Ein Fenster. Ein Fenster von außen. Etwas Halbdurchsichtiges, das sich dehnt und wölbt. Etwas, das herauswill. Ins Freie. Die Wölbungen begannen sich zu legen wie Meereswellen nach dem großen Sturm, die blanke Oberfläche glättete sich wie ein Foto des Todes. Und drinnen bewegt sich ein Kind. Ein kleiner Junge. Die Wölbungen an der Fensterscheibe setzen wieder ein. Jemand zieht und zerrt an einer Fenstertür. Von außen. Und der Junge steht am Herd, vielleicht drei Jahre alt, und er dreht an allen Regulierknöpfen des Herds. Und er klettert auf den Schemel vor dem Herd.
    Und sie schließt die Augen, als sie das Handy hochhält, und es dauert unfassbar lange, bis das Objektiv das verdammte Scheißventil findet.
    Auftrag drei, denkt sie, und es fehlt nicht viel, dass sie sich übergibt.

18
    Verdammtes Scheißventil, dachte Jorge Chavez und kroch weiter. Es war noch nicht in Sicht, er hatte noch eine Krümmung vor sich. Möglicherweise sah er die Krümmung, aber das Licht war nicht besonders gut.
    Und das Geräusch? dachte er. Das dachte er jetzt ziemlich oft. Und das Geräusch, was ist damit?
    Dies hier bin nicht ich, dachte er. Es ist Arto, der einen Rückfall in seinen Europablues bekommen hat und in italienischen Müllschächten herumkriecht. Ich kann das nicht sein. Meine Tochter vielleicht, Isabel? Sie hat es vor einem Jahr getan. Sich durch einen engen Schacht vorwärtsbewegt. Aber lautlos war sie bestimmt nicht.
    Also kann sie es auch nicht sein.
    Wer zum Henker ist es dann, der in diesen Röhren herumkriecht und

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