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Totenmesse

Titel: Totenmesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Geräusche überdecken könnte. Ein winziger Fehler, nur ein Fuß, der etwas unvorsichtig an der Wand scharrte, würde die Zukunft sehr vieler Menschen verändern. Nicht zuletzt seine eigene.
    Es fing an in den Armen zu stechen. Sie waren nach vorn gestreckt – an den Seiten gab es keinen Platz – und die statische Position ließ seine Glieder einschlafen. Das war nicht gut. Er hielt an und bewegte die Finger. Das Blut kehrte in die Hände zurück.
    Drei Meter noch. Nur jetzt kein Geräusch.
    Langsam. Langsam die letzten Meter.
    Kalter Schweiß floss in Strömen.
    Durch das Gitter des Ventils ist nur Weiß zu sehen. Nicht die geringste Nuance. Nur Weiß. Kein Anhaltspunkt.
    Er war am Ziel. Zehn Zentimeter vom Ventil entfernt stellten seine Hände das Paddeln ein.
    Â»Beide sind noch da«, sagte Hultin in seinem Ohr. »Sie scheinen still zu sitzen.«
    Chavez wartete einen Moment. Dann drehte er den linken Arm zum Gesicht und griff mit der rechten Hand in eine Tasche am Jackenärmel. Die kleine Kamera erschien problemlos.Er hielt sie in der Hand, ein Objektiv, eine gegliederte kleine Stange, ein Stück Tape, von dem er die Schutzfolie abreißen musste. Er riss. Er war überzeugt davon, dass es hallte.
    Â»Wir schließen sie jetzt an«, sagte Hultin.
    Ein schwaches Lämpchen an der Seite der Kamera leuchtete auf. Chavez führte sie langsam zum Gitter.
    Â»Lass sie da«, sagte Hultin.
    Die Kamera drehte sich lautlos um ihre Achse.
    Â»Dreh sie ein bisschen nach links.«
    Er drehte sie ein bisschen nach links und fühlte, wie das Stechen in den Händen zurückkehrte.
    Â»Wir sehen sie jetzt«, sagte Hultin im Helm. »Versuch, sie noch ein bisschen weiter abzusenken, ohne sie seitwärts zu verdrehen.«
    Er versuchte es. Er fand, dass sie heftig zitterte, dass sie von kaltem Schweiß durchtränkt wurde.
    Aber Hultin sagte: »Gut. Mach sie da fest.«
    Er klebte das Tape diesseits des Ventilgitters an die Steinoberfläche und atmete aus. Es hatte funktioniert. Jetzt galt es, sich genauso geräuschlos rückwärts zu bewegen.
    Â»Warte«, sagte Hultin. »Es bewegt sich etwas.«
    Chavez war mucksmäuschenstill. Er dachte an das Sprichwort, dass man nicht hej rufen soll, bevor man auf der anderen Seite des Bachs ist.
    Hej?, dachte er. Warum sollte man auf der anderen Seite des Bachs hej rufen?
    Â»Der Größere ist auf dem Weg zu dir«, sagte Hultin. »Ganz ruhig. Okay, er verschwindet aus dem Bild. Er ist genau unter dir. Keinen Ton.«
    Und dann das große Schweigen. Vollständig ausgeliefert zu sein. Chavez rief sich das Bild eines Bachs vor Augen. Ein friedlich fließender Bach, über den ein Baumstamm führte. Jemand ging hinüber. Der Baumstamm war glatt. Die Person kam ins Schwanken, begann mit den Armen zu rudern, dieFüße glitten ab. Doch dann beruhigten sich die Armbewegungen. Die Füße fanden wieder Halt. Und die Person setzte mit einem waghalsigen Sprung hinüber. Und rief: »Hej!«
    Warum tat sie das, zum Teufel?
    Â»Er ist noch da«, sagte Hultin. »Wir sehen ihn nicht. Die Infrarotkamera fängt ihn vage ein. Er beugt sich nach unten.«
    Lieber nach unten als nach oben, dachte Chavez und fühlte den kalten Schweiß weiter strömen.
    Â»Starke Wärmequelle jetzt«, sagte Hultin. »Punktuell.«
    Scheiße, dachte Chavez und schloss die Augen. In dem Augenblick nahm er den Geruch wahr.
    Den Geruch von Rauch.
    Zuerst kam der Schock, die Vorstellung, in diesem Ventilationsschacht zu verbrennen, zu spüren, wie das Feuer sich einfraß, ohne sich vom Fleck rühren zu können, eine festgeklemmte Fackel. Das war noch eine Nuance schlimmer, als lebend begraben zu werden.
    Isabel, dachte er. Sara. Meine Familie.
    Der Schmerz, dachte er. So ins Todesreich einzutreten.
    Dann kam etwas anderes. Der Rauchgeruch nahm eine spezifische Qualität an. Er roch bekannt.
    Es roch nach – Tabak.
    Schwarzem russischem Tabak.
    Es sollte noch lange dauern, bevor Jorge Chavez es wagte, wieder auszusatmen.

19
    Â»Er ist also zu dem Ventil gegangen, um zu rauchen?«, sagte Viggo Norlander.
    Â»Es sieht so aus«, erwiderte Jan-Olov Hultin. »Der Kleine ist anscheinend fanatischer Nichtraucher.«
    Â»Das ist ein bisschen uncool«, sagte Arto Söderstedt. »Die einzige Stelle, wo einer von ihnen sein Gesicht entblößt, liegt

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