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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Gift.«
    Jenny wandte sich wieder ab. Sie hatte keine Lust, sich weiter von dem Kerl volllabern zu lassen. Erst recht nicht mit so einem Unfug. Sie trank noch etwas.
    »Wir alle haben unser Kryptonit. Dein Kryptonit ist die Einsamkeit, oder, Jenny?«
    Der Schluck Rum blieb ihr im Hals stecken. Sie drehte sich wieder um. »Woher weißt du, wie ich heiße?«
    Der Mann zwinkerte ihr zu. »Das«, sagte er, »ist eine etwas längere Geschichte.«

61.
    D ie Maschine der Air France landete nach einem nächtlichen Stopp in Paris gegen Mittag am Port-Bouët International Airport in der Küstenstadt Abidjan. Die frühere Hauptstadt der Elfenbeinküste stellte nach wie vor das politische und wirtschaftliche Zentrum des Landes dar. Der Flughafenterminal entsprach nach Alex’ Einschätzung europäischen Standards, was man vom Klima nicht behaupten konnte. Der Januar galt hier als einer der heißesten und trockensten Monate.
    Die Hitze schlug Alex wie eine Faust ins Gesicht, als sie mit dem Trolley das Hauptgebäude verließ. Kurz wurde ihr etwas schwindelig – sie war bei acht Grad minus abgeflogen, und hier herrschten knapp dreißig Grad plus. Die Luft roch würzig, stank nach Abgasen und drohte einem die Lungen zu versengen, wenn man zu tief einatmete.
    Alex zog das Handy aus der Seitentasche ihrer khakifarbenen Cargohose, krempelte die Ärmel ihrer hellblauen Bluse auf und ging einige Schritte, um sich in den Schatten eines mit gelbem Staub überzogenen UN-Panzerfahrzeugs zu stellen, auf dem zwei dunkelhäutige Soldaten mit Blauhelmen saßen.
    Erleichterung stellte sich ein, endlich da zu sein. Und es hatte keinerlei Probleme mit der Einreise gegeben. Auch nicht in Bezug auf die Impfung oder ein Visum – offenbar hatten die lokale Polizei oder das Innenministerium ganze Arbeit geleistet.
    Sie schaltete das Telefon ein, wartete auf das Verbindungssignal, setzte die Sonnenbrille auf und hielt Ausschau nach jemandem, der sie abholen würde, da schon in der Empfangshalle niemand auf sie gewartet hatte – was anders abgesprochen gewesen war. Für einen Moment verspürte sie Panik bei dem Gedanken daran, sich allein und auf sich gestellt in dem Chaos einer westafrikanischen Großstadt zurechtfinden zu müssen, die zudem kurz vor einem Bürgerkrieg stand.
    Alex hörte einen Motor aufjaulen und sah nach links. Sie registrierte einen heranrasenden schwarzen BMW. Er bog mit quietschenden Reifen um die Ecke und hielt direkt auf das UN-Fahrzeug zu. Die beiden Soldaten auf dem Wagen erwachten aus ihrer Lethargie, sprangen auf und griffen instinktiv nach ihren Waffen. Der BMW kam kurz vor der Stoßstange des Panzerwagens zum Stehen. Die Türen klappten auf. Zwei Männer sprangen heraus, riefen den aufgeregten Blauhelmen etwas in einer Sprache zu, die Alex nicht kannte, und hielten ihre Dienstmarken hoch.
    Während der Beifahrer weiter mit den Soldaten redete, kam der Fahrer auf Alex zu. Er war mit Abstand der schwärzeste Mensch, den Alex bislang gesehen hatte, trug ein knallbuntes Hawaiihemd und darüber trotz der Hitze ein helles Sakko, das ein Schulterhalfter nur mäßig verdeckte. Seine Nase sah gebrochen aus. Seine Augen blickten nach überall und nirgends, als er noch im Gehen die Hand ausstreckte und in feinstem Französisch »Mademoiselle de Stietencron?« fragte. Alex bestätigte die Frage mit einem Nicken und erwiderte den Gruß des Mannes, der entweder auf Speed oder Adrenalin zu sein schien und sich jetzt als Roger M’Obele von der Mordkommission des DGPN, der Direction Générale de la Police Nationale, vorstellte. Er blickte auf seine massive Golduhr am Handgelenk.
    »Wir sind spät dran«, sagte M’Obele und schob sich ein Kaugummi zwischen die porzellanweißen Zähne. »Kommen Sie.«
    Schon im nächsten Moment ging er mit raumgreifenden Schritten zurück zum BMW, rief den schimpfenden Blauhelmen etwas zu und wartete ungeduldig darauf, dass Alex ihren Koffer verstaute. Dann ließ er seinen Beifahrer ans Steuer, der ebenfalls ein Schulterhalfter trug, knallte die Tür zu, nahm ein Blaulicht aus dem Fußraum, kurbelte das Fenster herunter, klemmte es auf das Dach und schaltete es ein. Noch während Alex auf dem Rücksitz zwischen leeren Getränkedosen und Kartoffelchips-Verpackungen entschied, dass es besser wäre, sich anzuschnallen, setzte der Wagen aus der Parklücke und fuhr mit quietschenden Reifen los.
    Abidjan lag wie eine wirre Ansammlung von Bauklötzen unter einer gelben Dunstglocke, über der sich ein

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