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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Gedanken an eine Inszenierung, die alles bisher Dagewesene übertreffen dürfte und diesem besonderen Anlass angemessen war.
    Natürlich würde es ein wenig mehr Zeit in Anspruch nehmen als üblich. Zeit, die er möglicherweise nicht hatte. Aber erhöhte das nicht auch den Reiz? Ja, dachte er, das tat es. Und je größer die Gefahr, desto größer der Triumph und desto gewaltiger der Ruhm. Seine Mundwinkel zuckten.
    Er öffnete die Sporttasche. Darin lag das ordentlich zusammengefaltete Gewand. Fast zärtlich strich er über das gemusterte Fell, das er gleich anlegen würde, um die Verwandlung zu vollziehen. Daneben befanden sich die Klauen. Sie waren aus echten Leopardenkrallen gefertigt – jede einzelne beinahe so lang wie der gekrümmte kleine Finger einer Hand und rasiermesserscharf. Vier Krallen an jeder Klaue, die wie ein Schlagring gefasst werden konnten. Die Griffe waren aus Holz gefertigt und mit Schnitzereien verziert. Originale Stücke von beträchtlichem Wert und erheblicher Effizienz.
    Der Mann nahm eine der Klauen und fuchtelte ein wenig damit herum. Jenny gab ein Schnauben von sich. Schließlich legte er sie zur Seite, fasste in die Manteltasche und zog das Rasiermesser hervor. Er klappte es auf. Hielt es ins Licht. Drehte und wendete es. Sah es blitzen.
    Schließlich zog er die Klinge quer über Jennys Brust und bewunderte das hervorquellende Blut. Die Frau zuckte. Wand sich nach Kräften. Erstickte Schreie erfüllten den Raum.
    Er fragte: »Der Alabama Song in der Version von den Doors sagt dir immer noch nichts?«
    Sie schüttelte den Kopf. Eiskristalle glitzerten in ihren Augenwinkeln.
    »Tja«, sagte der Mann. »Da wirst du wohl dumm sterben müssen.«

70.
    S chweigend hastete Martin über die alten Dielen auf dem Flur des Stadtarchivs.
    »Martin!«, rief Alex ihm nach, fasste nach dem Gurt ihrer Umhängetasche, während die Eingangspforte ins Schloss fiel, und eilte ihm hinterher. Das Profil ihrer Sohlen hinterließ kleine Pfützen vom Schnee auf dem Boden.
    Martin knallte mit der Faust auf einen Lichtschalter, worauf die Neonbeleuchtung ansprang, riss eine Eichentür mit Wucht auf und verschwand.
    »Martin, warte!«
    Alex folgte ihm in einen Raum mit einem eindrucksvollen Spitzgewölbe. Darunter standen zahllose mannshohe Metallregale voller Folianten, Bücher und anderen Archivalien. An den Wänden hingen dunkle Bilder. Die Gemälde zeigten Menschen, die früher eine gewichtige Rolle in Lemfeld gespielt hatten, jetzt aber unter der düsteren Patina der Jahrhunderte nahezu verschwunden waren. Irgendwo in diesem Irrgarten war Martin verschwunden. Alex schritt die Regalreihen entlang und warf suchende Blicke in die Korridore.
    Dann hörte sie hinter sich ein Geräusch. Schließlich ein lautes Knallen, dessen Echo durch den Raum rollte. Sie wirbelte herum. Ein Licht flammte auf. Es stammte von einer Schreibtischlampe, die auf einem wuchtigen Eichentisch stand. Ihr Licht schien auf einen großen Folianten, den Martin auf den Tisch gewuchtet hatte. Schwungvoll blätterte er die Seiten um.
    Alex ging zu ihm hin.
    »Irgendetwas«, sagte er leise, ohne aufzusehen, während er weiter in dem Buch blätterte, »irgendetwas ist da …«
    Vor Martin lag eine Urkunde. Er betrachtete sie und blätterte weiter. Alex wollte etwas fragen, aber Martin hob abwehrend die Hand. Schließlich schlug er mit der flachen Hand auf ein Dokument, das amtliche Wappen und Schrift in gotischen Lettern trug.
    »Hab ich dich«, zischte er und wandte sich zu Alex. »Bei den Stichworten Goldspecht und Gasthof bin ich hellhörig geworden«, erklärte er. »Dieses Dokument … Es ist die Abschrift eines Originals und stammt ursprünglich aus dem Jahr 1604. Darin genehmigt Fürst Bernhard III. von Lemfeld den Antrag eines Simon Goldspecht auf den Betrieb einer privaten Wassermühle zum Mahlen von Getreide.«
    »Gerste und Wasser?«
    »Ja, aber das ist noch nicht alles.« Martin blickte wieder auf. »Die Mühle wurde im Dreißigjährigen Krieg zerstört, später vom Fürstenhaus wieder aufgebaut und in Eigenregie betrieben sowie an einen Müller verpachtet. Der Name aber blieb. Im Volksmund hieß sie stets Goldspechts Mühle. Anfang dieses Jahrhunderts wurde dort ein Ausflugslokal eingerichtet. Besonders der Biergarten war sehr beliebt – die Lemfelder Burschenschaften hielten dort ihre Kneipen ab. Das Lokal wurde während des Ersten Weltkriegs aufgegeben, und es hieß …«
    »Zum Goldspecht?«
    »So ist es. Die Mühle ist

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