Totenmond
sich bewegen?«, fragte der Mann mit der Pudelmütze panisch.
Alex versuchte ein Nicken. »Ich denke schon, mir geht es gut, aber mein Kollege ist …«
»Ja, sicher geht’s Ihnen gut, das sieht man«, hörte sie den Mann ungläubig sagen und spürte dann Hände an den Schultern und einen Ruck, als sie aus dem Fahrzeug gezogen wurde. Mit einem Geräusch, als würde man mit der Hand in ein Kissen boxen, kam sie in einer Schneewehe zum Liegen. Der Wind schnitt ihr ins Gesicht und ließ ihre Haare wehen wie die schwarze Rauchfackel eines Feuers im Sturm.
»Sie sind voller Blut«, hörte sie den Pudelmützenmann vor sich sagen. Alex nickte, griff sich ans Kinn und betrachtete anschließend ihre rot verschmierten Hände.
»Nur eine Platzwunde«, sagte sie.
Neben sich hörte sie Schritte. Ein dritter Mann rutschte die Böschung herab, in der der Vectra dampfend und zischend auf dem Dach lag. Er trug einen braunen Overall mit dem Aufdruck eines Lieferservices. Die beiden Mitarbeiter des Räumdienstes machten sich gerade daran, Schneider aus dem Wagen zu befreien.
»Mannomann«, sagte der Mann im Overall, öffnete hektisch den Verbandskasten, den er unter dem Arm getragen hatte, und verstreute vor Aufregung den halben Inhalt im Schnee. »Das war knapp, haben Sie mich denn gar nicht gesehen?«
»Geben Sie her«, murmelte Alex und riss dem Fahrer des Wagens, vor dessen Heck sie offenbar geprallt waren, den Kunststoffkasten aus der Hand, suchte nach einer Kompresse und öffnete die Verpackung mit den Zähnen, bevor sie sich das weiche Mullband aufs Kinn drückte. Dann sah sie zu, wie die Helfer vom Winterdienst Schneiders Körper ins Freie zogen. Zu Alex’ Erleichterung war Rolf ohne Zweifel wieder bei Bewusstsein. Er fluchte lautstark über sein Bein und fuchtelte herum, als wolle er Fliegen verscheuchen.
»Rufen Sie einen Notarzt«, sagte Alex zu dem Mann in dem Overall. »Wählen Sie 112 oder 110 – geben Sie die Position durch und fordern einen Krankenwagen an!«
»Okay.« Der Mann lief die Böschung wieder hinauf. Seine Schuhe traten in dem rutschigen Schnee einige Male wie ins Leere.
Umständlich stand Alex auf, entnahm dem Erste-Hilfe-Pack eine zusammengerollte Isodecke aus Aluminiumfolie und ging damit zu Schneider, den die zwei Helfer an die Böschung gelehnt hatten.
»Was tut dir weh, Rolf?«
Schneider sah Alex groß an. »Das fragst du mich?«, presste er hervor. »Dein ganzes Gesicht ist voller Blut, Mensch!«
»Platzwunde«, wiegelte Alex ab und legte die Decke über ihren Kollegen. »Was ist mit dem Bein?«
»Tut scheißweh – scheint aber nicht gebrochen zu sein.«
Alex nickte, griff eine Handvoll Schnee und wischte sich damit durchs Gesicht. Er sah rosafarben aus, als sie ihn wieder wegwarf. Rolf war inzwischen über und über mit Schneeflocken bedeckt. Hier konnte man ihn so nicht liegen lassen.
»Kacke«, hörte sie einen der Winterdienstmitarbeiter sagen und drehte sich zu ihm herum. Er hielt Alex’ Handtasche in der einen Hand und ihre Glock in der anderen. Der Adamsapfel des Mannes mit der Pudelmütze hüpfte auf und ab. »Was zum Teufel seid ihr denn für welche?«, fragte er heiser.
»Kripo Lemfeld«, erklärte Alex. »Sehen Sie in der Handtasche nach – darin befindet sich mein Dienstausweis. Und dann stecken Sie meine Waffe bitte in die Tasche zurück und geben sie sie mir dann.«
»Polizei?«
»Polizei«, wiederholte Alex.
Der Mann spielte nun mit Alex’ Dienstmarke, formte seine Lippen zu einem O und ließ dann sowohl die Marke als auch die Glock in der Tasche verschwinden, um sie Alex zu reichen.
»Danke«, sagte Alex im Aufstehen und warf die Mullkompresse zur Seite. Die Blutung aus der Platzwunde hatte sich in der Eiseskälte beruhigt. »Und danke, dass Sie uns zu Hilfe gekommen sind.« Alex ging einige Schritte auf den Vectra zu, hockte sich hin und zog das Familienalbum der Frentzens aus dem Inneren, um es sich unter den Arm zu klemmen.
»Keine Ursache«, hörte sie den Mann mit der Pudelmütze sagen.
Alex ging zu Schneider zurück. In spätestens fünf Minuten wäre er unter der Schneewehe verschwunden.
»Hören Sie«, sagte Alex zu den Männern in Orange, »der Fahrer des Lieferwagens verständigt gerade den Notarzt. Der Name meines Kollegen ist Rolf Schneider. Bis der Notarzt eintrifft, muss er warmgehalten werden. Es wäre vielleicht sinnvoll, ihn in den Laderaum zu verlegen.«
Schneider sagte bibbernd: »Ich brauche keinen Notarzt, und ich lege mich in
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